Predigt des Bischofs Reinhart Guib
am Sonntag, den 5. November 2017 (Losung und Lehrtext des Reformationstages)
Hochwürdige Herren Bischöfe, verehrte Dechanten und Pfarrer, liebe Schwestern und Brüder!
In dieser Woche feiern viele Millionen Menschen weltweit das größte Fest seit Pfingsten: 500 Jahre Reformation. Seit 2012 hat sich unsere Evangelische Kirche mit einem reformatorischen Schwerpunktthema auf den Weg zu diesem Jubiläum aufgemacht. 2012 wurde zum Jahr der Bibel, 2013 des Gottesdienstes, 2014 der Diakonie, 2015 der Bildung, 2016 der Reformatoren Luther und Honterus und 2017 dem 500-sten Reformationsjubiläum gewidmet. Die EKD hat mit ihrer Luther-Dekade eine noch weitere reformatorische Reise hinter sich. Am Reformationstag, also am Tag des Thesenanschlags Luthers am 31. Oktober, und auch heute am Sonntag danach, am traditionellen Reformationsfest, feiern wir als Evangelische Kirche nun unseren 500.Geburtstag. Wir feiern ihn im ökumenisch gesinnten Schäßburg zusammen mit der Evangelisch- Lutherischen ungarischsprachigen Kirche und der Reformierten Schwesterkirche. Denn seit der Reformation gehören wir in eine Familie der Protestanten, die seit Leuenberg 1973 Predigt- und Abendmahlsgemeinschaft zusammen pflegen.
Diese Gemeinschaft wollen wir wie im Oktober 2016 in Torenburg auch heute in der Einheit des Glaubens hier in Schäßburg miteinander teilen. Wie damals so auch heute haben wir ein Apfelbäumchen gepflanzt in der Reformationsgedenkreihe unserer Kirche „12 Apfelbäumchen für ein klares Wort“, welches auf das Lutherzitat zurückgeht: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Unsere Welt braucht Hoffnung.
Die alttestamentliche Reformations-Losung aus dem 34. Psalm sehe ich als Zusammenfassung dessen, was den Reformator von Herzen bewegte. Er hatte sich bemüht, alles zu tun, um der Wegweisung dieses Psalmwortes zu folgen. Er sah ein: „Wenn jemals jemand durch Möncherei selig geworden wäre, so wäre ich wohl selig geworden!“ Stattdessen erlebte er aber tiefste Verzweiflung. Davon können wir noch was ahnen, wenn wir sein Beichtgebet sprechen: „Ich armer, elender, sündiger Mensch…“ Auf seinem Sterbebett wurde er mit einem Zettel in der Hand gefunden. Darauf stand: „Wir sind Bettler, das ist wahr!“ Aus aller Verzweiflung befreit wurde Luther durch die Begegnung mit seinem Seelsorger Staupitz. Dieser mahnte ihn: „Du musst auf Christus schauen!“ Und das sagt uns auch die neutestamentliche Reformationslosung aus dem Römerbrief. Gerade diese beiden Bücher Psalmen und Römerbrief liebte der Reformator ganz besonders. Beiden hat er eine Vorlesung gewidmet. Später hielt er in großer Dankbarkeit fest: Mit dem Blick auf Christus habe er den Weg zur ewigen Seligkeit gefunden.
Liebe Reformationsgemeinde! Die Reformation war ein Apfelbäumchen der Hoffnung. Vor 500 Jahren erhoben Luther und Melanchthon und die weiteren Reformatoren, Calvin und Zwingli, Honterus und Wiener, Hebler und Unglerus, Helth und mit ihnen die Menschen des dunklen Mittelalters ihren Blick auf Christus. Dieser Blick veränderte sie und die Welt zum Guten. Das helle Zeitalter der Neuzeit und Moderne brach an. Ein Aufbruch ohnegleichen. Menschen lernten in ihrer Muttersprache zu lesen und die Hl. Schrift zu verstehen. Freiheit und Toleranz ebneten den Menschen den Weg zu Glauben und Bildung, zu Kunst und Kultur, zu Aufklärung und Frömmigkeit, zu Gemeinschaftsbewusstsein und sozialer Verantwortung. Heute leben wir wie selbstverständlich in der Lebens- und Glaubenswelt die Luther und die Reformatoren begonnen haben zu verändern. Diese Welt hat sich weiterentwickelt ohne Unterlass. Gerade in der heutigen rasanten Entwicklung der Technologie und Wissenschaft, der Wirtschaft und des Handels ist es nötig, sich zu besinnen, was hält und trägt, was stärkt und motiviert uns und wohin entwickeln wir uns.
Da steht wie ein Fels in der Brandung Christus, der uns im Leben, Sterben und Auferstehen vorausgegangen ist und der uns einlädt aufzusehen zu ihm und ihm nachzufolgen. An ihm können wir die Liebe des himmlischen Vaters ablesen. Die Gnade, mit der er uns gerne alle Schuld und Fehler, die Sünde vergibt, damit wir frei leben, einander annehmen und Gutes tun. Er schenkt uns obendrein den Glauben, ohne den wir verloren wären in den rasanten Entwicklungen und Veränderungen dieser Welt. Christus, Gnade, Glauben sind uns in der Hl. Schrift überliefert. Auch wenn die Welt sich noch schneller drehen und verändern wird, gilt es, diese 4 „Soli“, Erkenntnisse der Reformation, uns zu bewahren, lebendig zu gestalten und der nächsten Generation weiterzugeben. Zurückbleiben sollen wir nicht. Uns verändern ja. Aber mit Christus, der uns hält und zu uns steht. Dank Gottes Gnade und Liebe, die uns stärkt. Im Glauben, der uns Halt gibt und motiviert. Und nach der Hl. Schrift, die uns ausrichtet auf das, was kommt. Nein, auf den, der kommt, ja wiederkommt: Christus. Er ist das Apfelbäumchen der Hoffnung für diese Welt.
Ein Christusfest sind wir gerufen heute zu feiern. Und als befreundete und versöhnte protestantische Gemeinschaft und Geschwister lasst uns ein Leben mit Jesus Christus, gestern und heute und auch in Ewigkeit führen. Ich bin gewiss: Darauf wird der Herr seinen Segen geben.
Amen.
Es gilt das von der Kanzel gesprochen Wort!