„12 Apfelbäumchen für ein klares Wort“
Kantate - 14.5.2017, Krakau (Polen) - Kraków (Małopolska) - Predigt zu Hebräer 4,12 – 13
Liebe Schwestern und Brüder!
I. Es ist eine große Ehre und Freude für die Evangelische Kirche A. B. in Rumänien und natürlich auch für mich persönlich als ihr Vertreter, heute hier in der Evangelischen Kirche St. Martin in Krakau predigen zu dürfen. Es kommt in unserer Zeit relativ selten vor, dass Unsereiner sich hierzulande aufhält, und das – wie ich jetzt feststellen möchte – zu Unrecht. Denn uns verbindet eine ganze Menge; mehr als man auf Anhieb meinen würde.
Einerseits sind es Verbindungen historischer Natur und das ist natürlich auch der Hauptgrund weshalb wir heute hier sind. Kein geringerer als unser Reformator Johannes Honterus hat hier in Krakau einen – wenn auch kurzen – Teil seines Lebens verbracht und war wissenschaftlich tätig. Dieser Aufenthalt dauerte von Winter bis Herbst 1530; das Jahr in dem in Augsburg beim Reichstag die Bekenntnisschrift Philipp Melanchtons dem Kaiser vorgelegt wurde, die bis heute maßgeblich ist, und deren Namen bis heute im Titel unserer Kirchen vorhanden ist (Evangelische Kirche A. B. in Polen und in Rumänien). Auf Einzelheiten möchte ich an dieser Stelle nicht eingehen, es ist im gestrigen Vortrag im Goethe-Institut durch Dr. Dr. G. Volkmer geschehen und im heutigen Grußwort von Dr. B. Köber gesagt worden.
Aber wir wollen uns heute nicht nur vergangene Ereignisse in Erinnerung rufen. Gerade von der Reformation herkommend, sind wir als evangelische Christen bis auf den heutigen Tag verbunden. Mehr noch: die gemeinsame Geschichte der letzten Jahrzehnte – und ich meine damit zunächst die Zeit im Kommunismus und dann in der postmodernen Freiheit in einem vereinten Europa – schafft eine ganze Reihe von Anknüpfungspunkten. Sowohl Sie hier in Polen, als auch wir im heutigen Rumänien gehören einer lutherischen Minderheitenkirche an, mit all dem was ein solches Minderheitendasein an Nachteilen, aber auch an Vorteilen mit sich bringt. Auch darauf einzugehen, würde den Rahmen einer Predigt sprengen; vielleicht ergibt sich aber die Möglichkeit im Anschluss an diesen Gottesdienst noch ins Gespräch zu kommen.
Worauf ich meine Predigt fokussieren möchte – erstens weil es die Thematik unserer Gesamtveranstaltung hier in Krakau vorsieht, zweitens aber auch deshalb, weil wir als evangelische Christen einer „Kirche des Wortes“ angehören – ist das Thema Wort oder Sprache.
II) In diesem Sinne, lade ich dazu ein, dass wir heute über ein Bibelwort nachdenken, welches im Hebräerbrief zu finden ist (Hebräer 4,12 – 13):
12. Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.
13. Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen.
1.) Durch das Wort bzw. durch die „Sprachfähigkeit“ sind wir Menschen einmalig; zumindest hat man noch keine ähnlichen Lebewesen im Weltall entdeckt. Dank dieser Fähigkeit sind wir in der Lage konkrete und abstrakte Dinge zu artikulieren. Kein Lebewesen sonst, ist dies zu leisten imstande. Zum einen also unterscheidet uns diese Fähigkeit von allen andern Lebewesen. Zum andern aber, macht sie uns Gott unmittelbar. Auf den ersten Seiten der Bibel schon, im Schöpfungsbericht aus dem Buch der Genesis, wird das deutlich indem der Mensch als einziges unter den Geschöpfen dargestellt wird, welches der Schöpfer mit direkter Rede anspricht. Dass wir uns auf diese Einmaligkeit etwas einbilden könnten oder sollten, das lag sicher nicht im Sinne des Schöpfers; es beinhaltet im Gegenteil eine riesengroße Verantwortung, welcher der Mensch mal mehr, mal weniger gerecht geworden ist. Die »Wort-Fähigkeit« des Menschen kann – je nachdem wie sie angewendet wird – dem Menschen zum Vorteil gereichen oder aber ihn hinunter drücken. Wir erleben in der heutigen Zeit, in erster Linie natürlich über die Medien (Fernsehen, Radio, Internet) geradezu eine „Inflation des Wortes“. Alles kann oder darf gesagt werden und wird auch gesagt, wobei nicht mehr deutlich unterschieden werden kann, ob das Gesagte auch etwas Sinnvolles vermittelt, oder nicht. Das liegt vor allem daran, dass „Hinz und Kunz“ das Wort erteilt bekommen (also jedermann öffentlich reden darf) bzw., dass plötzlich Menschen zu Wort kommen, die gar nichts zu sagen haben, denen aber eine ganze Nation zuhört. Worte werden ihres Inhaltes entledigt, und verkommen zu leeren Worthülsen. Andererseits aber ist es so, dass Personen oder Persönlichkeiten, die eine Vorbildfunktion in der Gesellschaft haben sollten, was den Umgang mit dem Wort angeht, deren Wort etwas zählen sollte (Lehrer, Ärzte, Politiker, aber – warum nicht? – auch Pfarrer), gar nicht gehört werden, oder aber ihrer Vorbildfunktion aus andern Gründen nicht gerecht werden. Erinnern wir uns bloß an den letzten Wahlkampf um die Präsidentschaft in Amerika: was wurden dort für Worte verwendet? Menschliche Worte können aufbauen und können niederschmettern. Sprache kann zum Nutzen und zum Schaden gereichen.
2.) Wie sieht es aber mit dem Worte Gottes aus? Die Tatsache, dass Gott dem Menschen im Wort nahe kommt, ist Krise und Chance zugleich. Diese Problematik führt uns das vorhin verlesene Bibelwort deutlich vor Augen. Wenn wir predigen, haben wir den Anspruch, kraft göttlicher Autorität zu reden, eben Gottes Wort den Menschen zu verkündigen. Ich stelle aber – zumindest was mich selber betrifft – immer wieder eine gewisse Sprachlosigkeit fest, wenn es darum geht, mehr zu sagen als nur das eigene Wort. Wenn ich die Heilige Schrift auslegen soll, laufe ich als Prediger dauernd Gefahr mein Wort in das Wort Gottes hinein zu lesen, meine Gedanken in die Gedankenwelt Gottes hinein zu interpretieren. Gerade die Reformatoren haben dies erkannt, bzw. Irrwege und Fehlentwicklungen in der mittelalterlichen Kirche gesehen und angesprochen. Mit ihrer Hinwendung zur Heiligen Schrift haben sie versucht, die „Mitte“ zu finden oder wieder zu finden. Aber auch sie, wie auch wir heute, waren genötigt zu „interpretieren“. Die Frage ist: WIE soll oder wie kann zwischen Gotteswort und Menschenwort unterschieden werden? Bereits im Alten Testamentes finden wir dies in ganz bemerkenswerter Weise dargestellt; so z. B. bei dem Propheten Jeremia. Das Wort des Propheten steht gegen das Wort, der andern Propheten; in der Regel waren es die „Hofpropheten“ der damaligen Machthaber, welche ihren Herrn nach dem Mund redeten. Jeder Prophet jedoch beanspruchte für sich, kraft der Autorität Gottes zu reden. Jahrhunderte danach ist Jeremia zu einer Autorität geworden; seine Reden gelten als von Gott inspiriert. Was aber hat den Menschen damals (den Zeitgenossen des Jeremia) plausibler geklungen? Wir wissen, dass die damaligen Machthaber und die Mehrheit des Volkes seinen Ratschlägen nicht gefolgt sind und andere Wege gingen. Und so fragen wir im Blick auf unsere Zeit und auf uns selber: Woran können oder woran sollen wir erkennen, was Gottes Wort ist? Vor allem aber: Woran sollen wir erkennen was Gottes Wort NICHT ist? Kann ich als Prediger die Garantie dafür geben, dass das was ich Sonntag für Sonntag von der Kanzel sage, Gottes Wort ist und nicht nur mein eigenes – sei es auch interessantes – Gedankengebilde?
3.) Der bekannte Text aus dem Hebräerbrief von dem Wort Gottes, welches „lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert“ ist, liefert uns ein paar Wesenszüge des Gotteswortes, die wir uns zu Gemüte führen wollen.
a.) Gottes Wort ist lebendig und kräftig. Das, was im Namen Gottes verkündigt wird, muss etwas von dieser Lebendigkeit und von dieser Kraft uns vermitteln. Es muss für unser Leben relevant sein, es muss uns weiter helfen. Wenn ich nur mein Wort oder nur meine Gedankengänge weiter sage, dann kann das – wenn es gut herüber kommt – vielleicht eine schöne, vielleicht sogar eine philosophische Rede werden, aber keine Predigt, keine Verkündigung des Wortes Gottes.
b.) Gottes Wort ist scharf und es richtet, d. h. es ist imstande Dinge voneinander zu scheiden und zu beurteilen. Hier ist das gemeint, was wir nach unsern menschlichen Kategorien und Möglichkeiten nur mühsam umschreiben können. Gottes Wort kann uns zu dem allerwichtigsten führen, was wir in diesem Leben nur erstreben können, nämlich: Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen. Es kann nichts Wichtigeres geben, als den Menschen genau diese Unterscheidung des Wesentlichen vom Unwesentlichen zu vermitteln und für ihr Leben fruchtbar zu machen. Wo das geschehen ist, da ist Gottes Wort ergangen.
c.) Gottes Wort deckt alles auf und es lehrt uns daß wir Rechenschaft ablegen müssen. Auch wenn wir wissen, dass wir in Christus Vergebung der Sünden haben (eine der großen „Wiederentdeckungen“ der Reformation), so sind wir der Rechenschaftspflicht nicht enthoben. Das bewahrt uns davor, mutwillig zu werden. Es vermittelt uns den Ernst der Lage, in der wir uns alle – durch den Zustand der Sündhaftigkeit – befinden. Es hilft uns zugleich aber, genau die von der Sündhaftigkeit verursachten Mängel zu entdecken. Auch wenn es in dieser Welt keine Vollkommenheit gibt, so ist das kein Grund, nicht an uns selber zu arbeiten. Gottes Wort bewirkt in uns das, was von nichts anderem bewirkt werden kann: es hilft uns aus unserem Alltagsgrau heraus den Kopf zu heben, für unsern Mitmenschen ein Sensorium zu entwickeln und schließlich unseren Weg in dieser Welt zu vollenden, der uns zu Gott führt.
III. Zum Schluss und zusammenfassend möchte ich aber noch eines festhalten. Ich denke, dass gerade wir als „Minderheitenkirchlicher“ dies nur zu gut verstehen können: Gottes Wort erklingt oft viel leiser, als wir es aus dem Tagesgeschehen gewohnt sind. Wiewohl es lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert ist, so hat es eine besondere Eigenschaft: es drängt sich nicht auf. Gerade das ist ein wesentlicher Unterschied zu menschlichem Wort. Doch die Hoffnung – die nur das Wort Gottes vermitteln kann – ist Zeichen dafür, dass wir auf dem richtigen Weg sind, wenn wir es hören und uns danach richten. Möge der allmächtige Gott, der uns „wortfähig“ geschaffen hat, helfen das Wort in rechter Weise zu hören, es in uns wirken zu lassen und es in rechter Weise anzuwenden. Nichts anders als das wollten auch die Reformatoren. Und nichts anders wollen wir mit unserer Aktion „12 Apfelbäumchen für ein klares Wort“.
Amen.
Es gilt das von der Kanzel gesprochen Wort!