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9. Vollversammlung der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europe (GEKE) 2024
9. Vollversammlung der
Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europe (GEKE)
27. August bis 2. September 2024 in Hermannstadt/Sibiu, Rumänien SCHLUSSBERICHT
1. Einleitung
„Im Licht Christi – berufen zur Hoffnung“: Unter diesem Motto tagte die
9. Vollversammlung der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) in Hermannstadt/Sibiu (Siebenbürgen). Vom 27. August bis 2. September 2024 trafen sich 100 Delegierte aus 70 Mitgliedskirchen sowie Vertreter*innen aus vier beteiligten Kirchen und mehr als 100 Berater*innen, Gäste, Stewards und weitere Mitarbeiter*innen in Hermannstadt/Sibiu. Gastgeberinnen waren die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien, die Evangelisch-Lutherische Kirche in Rumänien, die Evangelisch-Methodistische Kirche in Rumänien und die Unitarische Kirche Siebenbürgen.
Licht, Christus, Hoffnung, Berufung waren die Stichworte für alle geistlichen Teile des Treffens. Im Eröffnungsgottesdienst in der lutherischen Marienkirche, die zugleich Tagungsort war, wurden vier Kirchen begrüßt, die seit der letzten Vollversammlung in die Gemeinschaft aufgenommen worden waren: Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Georgien und dem südlichen Kaukasus, die Evangelisch-Lutherische Kirche Islands, die Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in Lettland und die Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in der Ukraine – diese mit besonders herzlichem Applaus als Zeichen der Solidarität im Krieg seit dem russischen Überfall.
Mit Bedauern wurde der Austritt der Evangelisch-Lutherischen Kirche Lettlands aus der GEKE zur Kenntnis genommen. Stark vermisst wurden die Geschwister der ungarischsprachigen reformierten Kirchen, die kurzfristig ihre Delegierten zurückgezogen hatten. Die Vollversammlung war dankbar für die Gastfreundschaft in der Reformierten Gemeinde Hermannstadt/Sibiu als Ort für die Morgenandachten.
Den Sonntagsgottesdienst feierten die Teilnehmenden in zwölf verschiedenen gastgebenden Kirchengemeinden in Siebenbürgen. Dort lernten sie die Vielfalt des christlichen Lebens in dieser Region kennen, die von einer starken Tradition der Religionsfreiheit und Ökumene geprägt ist.
Im abschließenden Abendmahlsgottesdienst wurde der bisherige Rat verabschiedet und der am 29. August 2024 neu gewählte Rat eingeführt.
Die GEKE ist Teil der weltweiten ökumenischen Bewegung. Dies wurde in den Grußworten von Heinrich Bedford-Strohm, dem Moderator des Ökumenischen Rates der Kirchen, und Frank-Dieter Fischbach, dem Generalsekretär der Konferenz Europäischer Kirchen, deutlich. Ireneusz Lukas vom Lutherischen Weltbund, Hanns Lessing als Vertreter der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen, Alan Donaldson, Generalsekretär der Europäischen Baptistischen Föderation, Jeremy Morris als Vertreter der Kirche von England, Rosangela Jarjour, Generalsekretärin der Gemeinschaft der Evangelischen Kirchen des Nahen Ostens und Üllas Tankler von der United Methodist Church sprachen ebenfalls vor der Vollversammlung.
Alle Gäste betonten die Notwendigkeit des gemeinsamen Zeugnisses, Dienstes und Dialogs für Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung in einer Welt, die in unserer Zeit von zahlreichen Krisen gekennzeichnet ist. Sie äußerten auch den Wunsch nach einer Vertiefung der Gemeinschaft in der ökumenischen Bewegung.
Das Präsidium und der Generalsekretär der GEKE legten der Vollversammlung zwei umfassende Berichte vor.
Das Präsidium hob hervor, dass die GEKE als lebendige Gemeinschaft gewachsen und eine Plattform des Austauschs für die Kirchen geworden ist. Der Bericht beleuchtet lebendige Gemeinschaft in zerrissenen Zeiten in Gottesdienst, Zeugnis und Dienst auf Grundlage der Leuenberger Konkordie. Zwei Aspekte der Arbeit waren die Feier des Jubiläums der Leuenberger Konkordie und die Reaktion auf die Covid-19 Pandemie. Die Bewältigung dieser Herausforderungen führte zu praktischem Austausch, Unterstützung und neuen Formen der Begegnung, um die Arbeit in der GEKE fortsetzen zu können. Die neue Strategie „Gemeinsam Kirche sein im Licht der Hoffnung“ wurde präsentiert. Ihre Leitfrage lautet: Wie werden wir als Kirchengemeinschaft mehr zu dem, was wir sind? Der Blick in die Zukunft ist ein integraler Bestandteil christlichen Glaubens. Zu den künftigen strategischen Schwerpunkten der GEKE gehören als Querschnittsthemen:
(i) die Beachtung von ökologischer und ökonomischer Nachhaltigkeit,
(ii) die praxisbezogene und kreative Rezeption der Ergebnisse der Arbeit der GEKE und
(iii) die Flexibilität, auf unvorhergesehene Ereignisse zu reagieren.
Der Generalsekretär betonte die Bedeutung von zwei organisatorischen Änderungen seit Basel: (i) Die GEKE wurde juristische Person und (ii) der englische Name wurde von „Community“ in „Communion“ geändert, um die theologische Dimension des Gemeinschaftsbegriffs herauszustellen. Die Regionalgruppen sind zu wesentlichen Orten geworden, in denen Kirchengemeinschaft lokal und regional verwirklicht wird. Sie haben sich in ihrer Arbeit auf die Themen „Demokratie“ und „Kirche im ländlichen Raum“ konzentriert. Diese Gruppen leisten einen wichtigen Beitrag zur Pflege der Beziehungen in der Gemeinschaft.
Christine Schliesser, Privatdozentin für Systematische Theologie und Ethik an der Universität Zürich und Leiterin des Zentrums für Glaube und Gesellschaft an der Universität Fribourg, hielt das Hauptreferat mit dem Titel „‚Gimme Hope!‘ Auf dem Weg zu einer neuen Theologie der Hoffnung“. Sie hob die Bedeutung der Hoffnung im christlichen Glauben hervor, wobei falsche Hoffnung eher Passivität als Aktivität
fördere. Schliesser erläuterte, dass echte Hoffnung eine Brücke zwischen der Zukunft und der Vergangenheit sowie der Gegenwart schlägt, und betonte, dass die Erinnerung an vergangenes Unrecht unerlässlich ist, um Hoffnung für die Zukunft zu entwickeln. Verwurzelt im Tod und in der Auferstehung Jesu Christi, geht die wahre christliche Hoffnung über bloßes Wunschdenken hinaus. Sie ist eine Hoffnung, die zum Handeln anregt und zwingt.
In einer Podiumsdiskussion teilten Delegierte aus Nordirland, Kroatien, der Ukraine und Russland sowie Christine Schliesser ihre Erfahrungen und Reflexionen zur Rolle von Kirche in Zeiten von Krieg und gewaltsamen Konflikten. Sie alle betonten, wie wichtig es ist, angesichts der Herausforderungen die christliche Hoffnung zu leben.
In sieben Arbeitsgruppen und sieben Fokusgruppen wurden die erarbeiteten Dokumente und weitere Projekte der vergangenen sechs Jahre diskutiert. Fünf Zukunftswerkstätten erarbeiteten Beschlussvorschläge für die Arbeit der GEKE, von denen die Vollversammlung 15 (3.1–15) annahm und den Rat um deren Bearbeitung bat. Aus den Diskussionen im Plenum gingen außerdem drei weitere Beschlüsse über die künftige Arbeit der GEKE hervor (siehe 3.16–18). Der scheidende Rat hatte diese Diskussionen durch die Erarbeitung eines Strategiepapiers vorbereitet.
Die Vollversammlung beschloss zudem eine Satzungsänderung der GEKE (siehe Anhang 1) und wählte den neuen Rat (siehe Anhang 2). Sie diskutierte und verabschiedete folgende Stellungnahmen: „Demokratische Kultur stärken, damit Einheit in Vielfalt gelingt. Demokratie als Herausforderung für Kirche und Gesellschaft“ (siehe Anhang 3), „Migration aus der Sicht der Herkunftsländer“ (siehe Anhang 4),
„Interreligiöse Beziehungen im europäischen Raum im Kontext der gewaltsamen Konflikte im Nahen Osten“ (siehe Anhang 5) sowie eine „Stellungnahme zur kirchlichen und sprachlichen Minderheitenexistenz“ (siehe Anhang 6).
2. Beschlüsse zu den Arbeitsergebnissen 2018-2024
2.1 Christliches Reden von Gott
1. Die Vollversammlung dankt der Startgruppe, den Beteiligten an der Konsultation 2022 und der Redaktionsgruppe für die Erarbeitung des Studiendokuments zum christlichen Reden von Gott.
2. Die Vollversammlung nimmt das Dokument an und betrachtet es als einen wegweisenden Beitrag zur Verständigung über das gegenwärtige Reden von Gott in der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa.
3. Die Vollversammlung empfiehlt den Mitgliedskirchen das Dokument mit seinen Ausführungen zu den Bedingungen, Kontexten, Herausforderungen und Weisen der christlichen Rede von Gott zu studieren und zu berücksichtigen.
2.2 Praxis und Theologie des Abendmahls
1. Die Vollversammlung dankt der anfänglichen Studiengruppe, den Beteiligten an der Konsultation 2023 und der Redaktionsgruppe für die Arbeit an dem Studiendokument zur Praxis und Lehre des Abendmahls.
2. Die Vollversammlung nimmt das Dokument als vorläufiges Ergebnis der Arbeit entgegen und betrachtet es als einen hilfreichen Beitrag zur Verständigung über die Praxis und Theologie des Abendmahls in der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa. In unseren Kirchen ist die Praxis des Abendmahls insbesondere im Hinblick auf Inklusion, Interkulturalität, Sprache und Barrierefreiheit zu beleuchten und weiterzuentwickeln.
3. Die Vollversammlung begrüßt die Diskussion des Dokuments in den Mitgliedskirchen.
2.3 Kirche und Demokratie
1. Die Vollversammlung dankt den am Studienprozess beteiligten Regionalgruppen sowie den Teilnehmenden an der Konsultation der Regionalgruppen 2024 für die Arbeit am Thema „Demokratie als Herausforderung von Kirchen und Gesellschaften“.
2. Die Vollversammlung dankt der Regionalgruppe Südosteuropa für die Arbeit am Impulspapier „Kirche und Demokratie“.
3. Die Vollversammlung nimmt das Dokument als vorläufiges Ergebnis der Arbeit aus einer spezifischen Region Europas entgegen und betrachtet es als einen hilfreichen Beitrag zum Verständnis der Voraussetzungen, Standpunkte, Sorgen und Handlungsgrundsätze evangelischer Kirchen.
4. Die Vollversammlung nimmt die Liste weiterer Materialien, die im Rahmen des Studienprozesses entstanden sind, zur Kenntnis.
5. Die Vollversammlung begrüßt die Diskussion des vorliegenden Materials in den Mitgliedskirchen.
6. Die Vollversammlung beauftragt den Rat, aus den vorhandenen Materialien eine Arbeitshilfe für die Weiterarbeit in den Mitgliedskirchen in elektronischer und gedruckter Form herauszugeben.
2.4 Gender, Sexualität, Ehe, Familie
1. Die Vollversammlung dankt der Studiengruppe für ihre Arbeit und den Teilnehmenden an der Konsultation für ihre Beiträge.
2. Die Vollversammlung nimmt zur Kenntnis, dass der Rat der GEKE das Studiendokument „Gender, Sexualität, Ehe, Familie“ entgegengenommen hat und entschieden hat, es mit einem Vorwort des Präsidiums zu veröffentlichen.
3. Die Vollversammlung ruft die Mitgliedskirchen dazu auf, Bewusstsein für sexualisierte Gewalt zu schaffen und Maßnahmen dagegen zu ergreifen.
4. Die Vollversammlung beauftragt den Rat, einen Arbeitsprozess aufzusetzen, in dem unter den evangelischen Kirchen in Europa Erfahrungen mit Schutzmaßnahmen ausgetauscht, dieselben ausgewertet und gute Praktiken gefördert werden sollen.
[Es wird festgehalten, dass der Beschluss 2.4.2 mit 69 Ja-Stimmen und 4 Nein- Stimmen bei 8 Enthaltungen angenommen wurde.]
3. Beschlüsse zu den Arbeitsfeldern der GEKE 2024-2030
[Die sprachliche Harmonisierung und Finalisierung des Wortlauts der Beschlüsse wird vom Rat auf seiner ersten Arbeitssitzung vorgenommen, da sowohl Deutsch als auch Englisch die Arbeitssprachen waren.]
1. Die Vollversammlung bittet den Rat zu untersuchen, welche Technologien für digitale Vernetzung entwickelt und eingesetzt werden können, um den Austausch von Wissen und Erfahrungen zwischen den Mitgliedskirchen und anderen relevanten Organisationen zu ermöglichen.
2. Die Vollversammlung bittet den Rat, kreative Wege zur Kommunikation innerhalb der Gemeinschaft zu suchen, und verschiedene Medien und verschiedene Sprachen zu nutzen. Es sollte erwogen werden, wie externe Kommunikationswege besser genutzt werden können, um die Arbeit der Gemeinschaft bekannter zu machen.
3. Die Vollversammlung ermutigt den Rat, die Arbeit mit jungen Christinnen und Christen und das Programm „Young Theologians in Communion“ fortzusetzen. Neue Formate sollen entwickelt werden, um junge Christinnen und Christen in Europa und Südamerika miteinander in Kontakt zu bringen.
4. Die Vollversammlung bittet den Rat, ein Lehrgespräch zum Thema „Konfessionalität in der Kirchengemeinschaft“ zu initiieren. Darin soll bedacht werden, wie unter Wahrung unserer bleibenden Lehrunterschiede die Kirchengemeinschaft vertieft und die Teilnahme am ökumenischen Dialog weitergeführt werden können.
5. Die Vollversammlung bittet den Rat, sich mit Fragen der missionarischen Verkündigung des christlichen Glaubens und mit der Weitergabe des Glaubens an die kommenden Generationen zu beschäftigen. Dies könnte in Form von Konsultationen und/oder der Entwicklung digitaler Netzwerke geschehen.
6. Die Vollversammlung bittet den Rat, einen Prozess zum Thema „Theologie des Wandels“ anzustoßen. Dieser Prozess soll die Herausforderungen im Umgang mit den größeren Veränderungen in unserer Gesellschaft und innerhalb der Kirche reflektieren.
7. Die Vollversammlung bittet den Rat, einen Studienprozess zum Thema des Menschseins zu initiieren der sowohl unsere unterschiedlichen protestantischen Traditionen als auch unsere gemeinsame Lehre anerkennt und und die gegenwärtigen Herausforderungen berücksichtigt.
8. Die Vollversammlung bittet den Rat, die Frage nach kirchlichen Erneuerungsprozessen als Reaktion auf die schnellen gesellschaftlichen Veränderungen und die damit verbundene Säkularisierung in vielen Teilen Europas zu bedenken.
9. Die Vollversammlung bittet den Rat, eine Gottesdienstkonsultation zum Thema Kasualien (z. B. Hochzeiten und Beerdigungen) in sich verändernden Gesellschaften anzuregen.
10. Die Vollversammlung bittet den Rat, die Arbeit zum Thema Kirche und Demokratie fortzusetzen und die Regionalgruppen zur Beschäftigung mit diesem Thema zu ermutigen.
11. Die Vollversammlung bittet den Rat, die Arbeit an einer Ethik und Praxis von Übereinstimmung und Dissens anzustoßen, die konkrete Fallstudien bedenkt, welche Fragen von Macht, Kultur und einer „Ethik des Schweigens“ mit einschließt. Dabei sollte die Weiterentwicklung eines Verhaltenskodexes und die Unterstützung bei der Schaffung von ‚sicheren Räumen‘ berücksichtigt werden.
12. Die Vollversammlung bittet den Rat, angemessene Möglichkeiten für die Gemeinschaft zu suchen, das jeweilige Schriftverständnis bei der Frage nach der ethischen Urteilsbildung zu reflektieren.
13. Die Vollversammlung bittet den Rat, die Arbeit am Thema Migration in seinen ethischen, theologischen, rechtlichen, politischen, sozialen und diakonischen Dimensionen fortzusetzen. Sie empfiehlt die Fortführung der Arbeit des Fachbeirats zu Migration und Kirchengemeinschaft und ermutigt den Rat, dessen Arbeit in Beziehung zu unserer Identität als protestantische Kirchengemeinschaft zu setzen.
14. Die Vollversammlung bittet den Rat, angesichts der jüngsten und anhaltenden Kriege und Konflikte die Lehren von Frieden und Krieg aus protestantischer Perspektive neu zu überdenken. Dies schließt auch die Reflexion über eigene Erfahrungen ein.
15. Die Vollversammlung bittet den Rat, (nach Prioritäten sortiert)
i. den Dialog mit der Europäisch-Baptistischen Föderation fortzusetzen, mit dem Ziel, in Kirchengemeinschaft zu treten,
ii. in enger Partnerschaft mit der Gemeinschaft der Evangelischen Kirchen des Nahen Ostens (FMEEC) zu theologischen und diakonischen Themen zu bleiben und Vertreter*innen in relevante Arbeitsgruppen der GEKE einzuladen,
iii. den Dialog mit dem Päpstlichen Dikasterium zur Förderung der Einheit der Christen zur Ekklesiologie fortzuführen und nach Abschluss zu evaluieren, um dann über künftige Schritte nachzudenken,
iv. den Dialog mit den anglikanischen Kirchen in Europa fortzusetzen, mit dem Ziel, die gegenseitigen Beziehungen zu vertiefen (z.B. eucharistische Gastfreundschaft),
v. Gespräche mit Kirchen mit Migrationshintergrund, die kirchliche Strukturen in Europa haben, weiterzuentwickeln im Wissen um ihre zunehmende Bedeutung für den Leib Christi in Europa.
vi. Möglichkeiten zur Kommunikation mit der orthodoxen Kirche, bevorzugt mit dem Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel zu suchen, insbesondere zu sozialethischen Fragen und zu erwägen, dies durch das Zentrum Evangelische Theologie Ost (ZETO) (einschließlich der Beteiligung junger Menschen) zu tun,
vii. die Gemeinschaftsprojekte mit dem Gustav-Adolf-Werk beizubehalten und, wenn möglich, zu intensivieren.
16. Die Vollversammlung bittet den Rat, sich auch weiterhin für eine starke Repräsentanz der GEKE beim Europarat in Straßburg einzusetzen.
17. Die Vollversammlung ersucht den Rat, die Kirchen in der Vorbereitung auf die zehnte Vollversammlung zu ermutigen, nicht ordinierte Personen in ihre Delegationen und Kandidatenlisten für die GEKE aufzunehmen.
18. Die Vollversammlung ersucht den Rat, eine Ergänzung zu dem Statut von 2006, Abschnitt 5, vorzubereiten, die verlangt, dass mindestens zwei Mitglieder des Rates nicht ordinierten Personen sind.
Anhang 1: Statut der GEKE in der geänderten Fassung vom 30. August 2024
S t a t u t
der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa
– Leuenberger Kirchengemeinschaft –
Vom 15. September 2018,
geändert am 30. August 2024
§ 1
Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa1
(I) 1Die der Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa zustimmenden Kirchen erklären und
verwirklichen untereinander Kirchengemeinschaft. 2Diese Kirchen bilden die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa – Leuenberger Kirchengemeinschaft (GEKE). 3Die GEKE dient der Verwirklichung der Kirchengemeinschaft, wie sie in Abschnitt IV.2 der Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa beschrieben ist, insbesondere durch die gemeinsame Ausrichtung von Zeugnis und Dienst und die theologische Weiterarbeit.
(II) 1Weitere Kirchen können dieser Kirchengemeinschaft auf der Grundlage der Konkordie
reformatorischer Kirchen in Europa durch besondere Vereinbarung beitreten. 2Näheres regeln die vom Rat erlassenen Leitlinien zur Begründung der Mitgliedschaft in der GEKE.
§ 2
Rechtsstellung und Sitz
(I) 1Die GEKE hat die Stellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts im Sinne des
österreichischen Bundesgesetzes vom 6. Juli 1961 über äußere Rechtsverhältnisse der Evangelischen Kirche – Protestantengesetz, BGBl. Nr. 182/1961 idgF. 2Sie hat ihren Sitz in Wien, Österreich.
(II) Die GEKE kann sich der Amtshilfe ihrer Mitgliedskirchen bedienen.
§ 3
Organe
Organe der GEKE sind
1. die Vollversammlung,
2. der Rat,
3. das Präsidium des Rates,
1 Eine Liste der Mitgliedskirchen der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) ist abrufbar unter:
1 https://www.leuenberg.eu/about-us/member-churches/
4. der Generalsekretär/die Generalsekretärin,
5. die Regionalgruppen.
§ 4
Die Vollversammlung
(I) 1Die Vollversammlung hat alle Entscheidungen, insbesondere solche von grundlegender
Bedeutung, zu treffen, es sei denn, dass in diesem Statut etwas anderes bestimmt wird.
2Insbesondere hat sie folgende Aufgaben:
1. die Richtlinien für die Arbeit der GEKE, insbesondere für die des Rates, zu beschließen;
2. über die Anträge der Mitglieder und über Vorlagen des Rates zu beraten und zu entscheiden;
3. die Mitglieder des Rates zu wählen.
3Die Vollversammlung gibt sich eine Geschäftsordnung.
(II) 1Die Vollversammlung der GEKE tritt in der Regel alle sechs Jahre zusammen. 2Sie setzt sich wie folgt zusammen:
1. von den Mitgliedskirchen entsandte Delegierte als Mitglieder mit Stimm-, Rede- und Antragsrecht, und zwar
a) eine Delegierte oder ein Delegierter für jede Mitgliedskirche mit bis zu 100.000 Mitgliedern;
b) zwei Delegierte für jede Mitgliedskirche mit mehr als 100.000 und bis zu
3.000.000 Mitgliedern;
c) drei Delegierte für jede Mitgliedskirche mit mehr als 3.000.000 Mitgliedern;
d) vier Delegierte für die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz;
2. bis zu zehn vom Rat berufene Delegierte als Mitglieder mit Stimm-, Rede- und Antragsrecht;
3. bis zu zwei entsandte Vertreterinnen und Vertreter jeder beteiligten Kirche als Mitglieder ohne Stimmrecht, aber mit Rede- und Antragsrecht;
4. die Mitglieder des amtierenden Rates, die nicht Delegierte sind, sowie der Generalsekretär der GEKE als Mitglieder ohne Stimmrecht, aber mit Rede- und Antragsrecht;
5. vom Rat eingeladene Beratende, die mit Rederecht an der Vollversammlung teilnehmen.
(III) 1Die Vollversammlung ist beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte der stimmberechtigten Mitglieder anwesend ist. 2Ein Beschluss wird gefasst, wenn mehr
Stimmen dafür als dagegen abgegeben werden. 3Stimmenthaltungen und ungültige Stimmen werden nicht berücksichtigt. 4Bei Stimmengleichheit gilt der Antrag als abgelehnt.
(IV) Die Verhandlungen im Plenum sind öffentlich, soweit nicht im Einzelfall etwas anderes beschlossen wird.
§ 5
Der Rat
1Der Rat ist für die Arbeit zwischen den Vollversammlungen verantwortlich. 2Er hat
insbesondere folgende Aufgaben:
1. auf der Grundlage der Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa und der Beschlüsse der Vollversammlungen die Kirchengemeinschaft zu fördern;
2. die Beschlüsse der Vollversammlung umzusetzen;
3. neue Beschlüsse der Vollversammlung vorzubereiten;
4. Richtlinien und Einzelanweisungen für die Arbeit der GEKE zu beschließen, soweit keine ausschließlichen Zuständigkeiten der Vollversammlung berührt sind;
5. die theologischen Lehrgespräche und Arbeitsgruppen (Fachbeiräte, Regionalgruppen, Projektgruppen) zu begleiten;
6. die Vollversammlungen vorzubereiten und ihre Tagungen zu leiten;
7. die Aufsicht über die Geschäftsstelle zu führen;
8. den Haushalt der GEKE zu beschließen;
9. die Rechnungsprüfung zu bestellen und die notwendigen Entlastungen zu beschließen.
3Der Rat gibt sich eine Geschäftsordnung.
(II) 1Der Rat wird von der Vollversammlung gewählt. 2Ihm gehören 13 Mitglieder und eine entsprechende Anzahl von ihnen persönlich zugeordneten stellvertretenden Mitgliedern an. 3Bei der Wahl des Rates ist die konfessionelle und regionale Gliederung der GEKE angemessen zu berücksichtigen. 4Ausscheidende Mitglieder werden durch Kooptation ersetzt.
(III) 1Der Rat tritt in der Regel zu ein bis zwei Sitzungen im Jahr zusammen. 2Er konstituiert sich noch während der Vollversammlung und wählt aus seiner Mitte ein Präsidium, das aus drei Präsidentinnen/Präsidenten besteht, davon ein geschäftsführendes Mitglied. 3Abwahl und Nachwahl sind möglich. 4Die Präsidentinnen oder Präsidenten vertreten die GEKE nach außen. 5Sie sind dem Rat verantwortlich.
(IV) Die Amtszeit des Rates endet, wenn sich der von der nächsten Vollversammlung gewählte Rat konstituiert hat.
§ 6
Geschäftsstelle, Generalsekretär/in
(I) 1Die Arbeit der Vollversammlung und des Rates wird von einer Geschäftsstelle unterstützt.
2Die Geschäftsstelle arbeitet nach den Weisungen der Vollversammlung und des Rates.
(II) 1Die Geschäftsstelle steht unter der Leitung des Generalsekretärs/der Generalsekretärin. 2Der
Generalsekretär/die Generalsekretärin wird vom Rat berufen. 3Er oder sie führt die laufenden Geschäfte. 4Er oder sie ist der Vollversammlung und dem Rat rechenschaftspflichtig. 5Der Rat erlässt eine Geschäftsordnung für die Geschäftsstelle. 5Der Rat kann einen stellvertretenden Generalsekretär/eine stellvertretende Generalsekretärin berufen.
6Diese/dieser übernimmt in Abwesenheit des Generalsekretärs/der Generalsekretärin
Vertretungsaufgaben nach Maßgabe der Geschäftsordnung für die Geschäftsstelle. 7§ 8 bleibt unberührt.
§ 7
Regionalgruppen
(I) 1Die Regionalgruppen dienen der Verwirklichung der Kirchengemeinschaft in der Region. 2Sie arbeiten eigenständig in ihrem jeweiligen regionalen Verantwortungsbereich und finanzieren ihre Arbeit selbst.
(II) Die Anerkennung als Regionalgruppe erfolgt durch den Rat auf Grundlage einer schriftlichen Vereinbarung zwischen Rat und Regionalgruppe.
(III) 1Regionalgruppen können mit Arbeitsaufträgen betraut werden. 2Sie können im Namen der GEKE handeln, soweit dies in einer schriftlichen Vereinbarung mit dem Rat niedergelegt ist. 3Regionalgruppen stimmen sich in allen die GEKE betreffenden Fragen mit der Geschäftsstelle in Wien ab.
§ 8
Vertretung im Rechtsverkehr
1Die GEKE wird im Rechtsverkehr durch den geschäftsführenden Präsidenten/die geschäftsführende Präsidentin oder den Generalsekretär/die Generalsekretärin vertreten. 2Geschäfte, die im Einzelfall einen Gesamtwert von 100.000,00 EUR übersteigen, können die beiden genannten Personen nur gemeinschaftlich vornehmen. 3Für die Vornahme von Geschäften, die im Einzelfall einen Gesamtwert von 20.000 € nicht übersteigen, kann die für die Geschäftsstelle erlassene Geschäftsordnung Befugnisse zur Vertretung der GEKE im Rechtsverkehr für weitere Personen vorsehen.
§ 9
Anzuwendendes Recht
Soweit nichts anderes bestimmt ist, gelangt das für die Evangelische Kirche Augsburgischen und Helvetischen Bekenntnisses in Österreich sowie Evangelische Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Österreich und Evangelische Kirche Helvetischen Bekenntnisses in Österreich geltende Recht zur Anwendung.
§ 10
Haushalt
1Der Haushalt der GEKE wird durch Beiträge aller Kirchen und durch Zuwendungen finanziert. 2Bei
der Bemessung der Beiträge sollen die Größe und die finanzielle Leistungsfähigkeit der Mitgliedskirchen Berücksichtigung finden. 3Die Teilnahme an den Veranstaltungen der GEKE sowie die Mitwirkung in den Gremien setzt die regelmäßige Zahlung der Beiträge voraus. 4Der Haushalt wird in der Regel für ein Haushaltsjahr aufgestellt, er ist in Einnahmen und Ausgaben auszugleichen. 5Der Haushalt wird vom Rat beschlossen.
§ 11
Änderung des Statuts
1Dieses Statut kann nur durch einen Beschluss geändert werden, der den Wortlaut des Statuts
ausdrücklich ändert oder ergänzt. 2Der Beschluss bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der anwesenden stimmberechtigten Mitglieder der Vollversammlung.
(II) 1Entsprechende Vorlagen müssen, mit einer Stellungnahme des Präsidiums verbunden, den Mitgliedern der Vollversammlung sowie den Kirchenleitungen der Mitgliedskirchen
spätestens 3 Monate vor der Beratung zur Stellungnahme vorliegen. 2Sie haben den Wortlaut der vorgeschlagenen Änderungen samt einer Begründung zu enthalten.
§ 12
Ausscheiden einer Mitgliedskirche
Eine Mitgliedskirche scheidet aus der GEKE aus, wenn sie gegenüber dem Rat schriftlich ihren Austritt erklärt.
(II) 1Unbeschadet des Absatzes 1 scheidet eine Mitgliedskirche aus der GEKE aus, wenn die theologischen Voraussetzungen für die Erklärung von Kirchengemeinschaft nicht mehr gegeben sind und dies durch Beschluss der Vollversammlung festgestellt wird. 2Der Beschluss bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der anwesenden stimmberechtigten Mitglieder; das Ausscheiden wird mit dem Beschluss wirksam.
(III) Mit Ausscheiden einer Mitgliedskirche aus der GEKE endet die Amtszeit aller Mitglieder der Vollversammlung und des Rates, die der entsprechenden Mitgliedskirche angehören.
§ 13
Schlussbestimmungen
1Über die Auflösung der GEKE entscheidet die Vollversammlung. 2Der Beschluss bedarf der Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden stimmberechtigten Mitglieder der Vollversammlung. 3Im Falle der Auflösung der GEKE fällt das Vermögen der GEKE nach Begleichung aller Verbindlichkeiten im Verhältnis der durchschnittlichen Beiträge der letzten fünf Jahre an die Mitgliedskirchen der GEKE.
Anhang 2: Wahlen: Rat und Präsidium
Die Vollversammlung wählte am 31. August 2024 einen neuen Rat der GEKE. Ihm gehören folgende Personen an:
Der Rat konstituierte sich am 1. September 2024 und wählte ein dreiköpfiges Präsidium, bestehend aus Pfrin. Rita Famos (Geschäftsführende Präsidentin), Prof. Dr. Georg Plasger und Bischof Marko Tiitus.
Anhang 3: Demokratische Kultur stärken, damit Einheit in Vielfalt gelingt. Demokratie als Herausforderung für Kirche und Gesellschaft. Stellungnahme der 9. Vollversammlung der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa an unsere Mitgliedskirchen
Die europäischen Kirchen sind mit herausfordernden Krisen konfrontiert. Sie sind Teil von sehr verschieden geprägten demokratischen Gesellschaften und haben einen – je auch unterschiedlich verstandenen – „Öffentlichkeitsauftrag“. Evangelische Kirchen in Europa wollen durch Mitgestaltung Verantwortung übernehmen und Teilhabe ermöglichen. Die Formen der Teilhabe stehen in unterschiedlichen Traditionen und sind durch individuelle und kollektive Erfahrungen geprägt.
Gerade bei Fragen der individuellen Lebensführung, des politischen Handelns, und insbesondere bei existenziellen Fragen, fällt es bisweilen schwer, Kompromisse auszuhandeln und mit Mehrheitsentscheidungen zu leben.
Der Beitrag der Kirchen zur Versöhnung und Verständigung in Europa will die demokratische Kultur in diesen herausfordernden Situationen stärken. Drei Aspekte sind wichtig:
• Kirchen als konstruktiv-kritische Partnerinnen in demokratischen Gesellschaften.
• Eine Kirche, die für die Achtung der Menschenwürde eintritt und das Vertrauen in Demokratie stärken möchte.
• Kirchen als Räume, die zeigen, wie Verschiedenheit und Gemeinschaft gleichzeitig gemeinsam gelebt werden können.
Kirchen als konstruktiv-kritische Partnerinnen in demokratischen Gesellschaften
Kirchen haben den theologischen Auftrag, das Evangelium zu verkündigen und zu bezeugen. Sie haben keine politische Definitionshoheit aus dem Wort Gottes, aber das Wort macht sie zu konstruktiv-kritischen Partnerinnen im demokratischen Gefüge: kritisch und selbstkritisch, bereit zu Kurskorrektur und Neuanfang.
Eine Kirche, die für die Achtung der Menschenwürde eintritt und das Vertrauen in Demokratie stärken möchte
Kirchen der GEKE verstehen sich als dem Evangelium Jesu Christi verpflichtete
„Denkgemeinschaften“ in unzertrennlicher Gottesdienst- und Abendmahls- gemeinschaft. Das Verhältnis von Kirche zur Demokratie ist folglich keine theologische Bekenntnisfrage, sondern bildet eine theologische und auf die Gesellschaft hin orientierte Suchbewegung ab.
Eine positive Teilhabe der Kirche in der Demokratie heißt, dass sie dafür gesellschaftlich eintritt, dass Menschenwürde geachtet wird, alle Meinungen diskutiert werden können und Minderheiten dabei nicht diskriminiert werden. Für die Kirche ist dies mit dem Gedanken der Gott-Ebenbildlichkeit des Menschen verbunden, der das Wort Gottes hört. Einzeln oder gemeinsam sind dadurch Christ*innen zu lebendigem Engagement bewegt. Kirchen tun gut daran, dies in demokratischen Formen der
Teilhabe zu ermöglichen. So können Kirchen glaubhaft auch nach außen hin bezeugen, was sie selbst in ihrem Miteinander leben.
Demokratische Prozesse werden gefährdet, wenn Menschen ihr Vertrauen in die Demokratie verlieren und diese gar aktiv stören. Die Folge ist, dass Menschen sich aus dem Engagement für die Gemeinschaft zurückziehen und einander nicht länger respektvoll begegnen. Ist die Demokratie existenziell in Gefahr, sind Kirchen gerufen, im Lichte des Evangeliums ihre Stimme zu erheben, wo immer es möglich ist. Sie können all jene tatkräftig unterstützen, die sich für den Erhalt der Demokratie einsetzen.
Kirchen wollen Räume sein, die zeigen, wie Verschiedenheit und Gemeinschaft gleichzeitig gemeinsam gelebt werden können.
Innerhalb der Kirchengemeinschaft gelingt es nicht jederzeit, sich in ethischen Fragen auf gemeinsame Positionen zu verständigen. Gerade in solchen Situationen ist es Aufgabe der Kirchen, Räume des Austauschs zu öffnen, Debatten zu unterstützen und sie im Licht des Evangeliums zu begleiten. Zur Demokratie gehört auch die Möglichkeit, ihre Verfahren und Ergebnisse kritisch hinterfragen zu können und sich auch mit rechtsstaatlichen Mitteln gegen sie zu wehren. Das demokratische Miteinander eignet sich deshalb insbesondere zur Debatte über brisante, moralisch aufgeladene Fragestellungen.
Als evangelische Kirchen in Europa sind wir überzeugt: Kirchen sind in der Lage, einen lebendigen Beitrag zum demokratischen Miteinander zu leistet, um gemeinsame Zukunft zu gestalten.
Sibiu/Hermannstadt/Nagyszeben, 1. September 2024
Anhang 4: Migration aus der Sicht der Herkunftsländer. Stellungnahme der 9. Vollversammlung der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa
Migration wird in Europa oft aus der Perspektive der aufnehmenden Länder diskutiert. Wichtig ist, auch die Perspektive der Länder in Europa wahrzunehmen, die z.T. hohe Auswanderungszahlen zu verzeichnen haben. Migration ist eine Form menschlichen und sozialen Lebens. Wir sind gewohnt, das sesshafte Leben als Grundform anzusehen, jedoch ist dieses historisch nicht richtig. Nomadische oder halbnomadische Kulturen, die Walz der Wandergesellen oder der Zuzug in die Städte zur Zeit der Industrialisierung zeigen, dass Migration zumindest nichts Ungewöhnliches ist.
Biblisch gesehen ist für alle monotheistischen Religionen Abraham, der seine Heimat verlässt eine Referenzperson. Die 40 Jahre währende Wanderung des Volkes Israel durch die Wüste ist auch in der gegenwärtigen Kulturtradition eine Sinnbildgeschichte für Aufbruch und Irrungen. Nicht zuletzt ist Jesus Christus ein Wanderprediger gewesen. Das Motiv finden wir typologisch und theologisch rezipiert in der Briefliteratur wieder, wenn Christen als wanderndes Gottesvolk beschrieben werden, die die
„zukünftige Stadt“ suchen (Hebräer 13, 12-14).
Europa, ganz besonders auch Mittel- und Osteuropa, hat in den letzten 150 Jahren unterschiedliche Migrationsbewegungen durchlebt, bei denen sich „Pull“ und „Push“ Faktoren abwechselten.
• Um die Wende zum 20. Jahrhundert sind aus Gebieten, die heute zu Polen, der Slowakei, Ungarn und Rumänien gehören – von Armut und Hoffnung getrieben
– Tausende von Menschen nach Amerika gezogen. Sie haben sich aus ihren festen Gemeinschaften gelöst, in der Hoffnung nach kurzer Zeit wiederzukommen. Die meisten sind für immer dortgeblieben.
• In Folge des 1. Weltkrieges und der Bildung von Nationalstaaten sind Menschen der „falschen“ Ethnie als Einzelpersonen, als Dorfgemeinschaften oder aber im staatlich geregelten Bevölkerungsaustausch über die neuen Grenzen gezogen (z.B. Pontusgriechen, Balkanmoslems, Siebenbürgische Ungarn etc.)
• Der 2. Weltkrieg hat dazu geführt, dass in manchen Ländern ethnische Gemeinschaften fast ausgelöscht worden sind. Lebendige jüdische Gemeinschaften sind durch die Shoa vernichtet worden, andere ethnische Minderheiten wurden nach dem zweiten Weltkrieg vertrieben bzw. zur Zwangsarbeit deportiert. Einige konnten in späteren Jahren wieder zusammenfinden, andere nie mehr.
• Die Ausbreitung des sowjetischen Kommunismus in dem später so genannten
„Ostblock“ führte zu langanhaltenden Fluchtbewegungen nach Westen und dort zu Bildung von Auslandsgemeinschaften und Kirchen (z.B. Ungarn nach dem Ungarnaufstand 1956, Tschechen und Slowaken nach dem Prager Frühling, 1968).
• Der Fall des Eisernen Vorhangs führte zu weiteren ethnisch motivierten Aussiedlungen in historische Heimatländer (z.B. Slowaken, Ungarn oder Siebenbürger Sachsen).
• Es begann aber ebenfalls zu der Zeit auch eine intensive Arbeitsmigration, die vom Einkommensgefälle generiert und durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Europäischen Union noch unterstützt wurde. Die Ausmaße dieser Migration übersteigen die der vorangegangenen Bewegungen sehr deutlich (von 20 Mio. Rumänen leben über 5 Mio. im Ausland).
Soziologisch gesehen hat sich jedoch – aufgrund von Faktoren wie Mobilität und digitale Kommunikation – die Migration der Jahre nach 2000 entscheidend verändert. Wenn bis in das späte 20. Jahrhundert Migration ein definitiver Wechsel aus einem sozialen Raum in einen anderen sozialen Raum bedeutet hat, so ist dieses nicht mehr der Fall. Die wissenschaftlich so genannten „Transmigranten“ geben ihre alte Heimat nicht vollständig auf, sondern schaffen Räume zwischen dem Ursprungsland und dem Zielland2. Durch die digitale Kommunikation bricht auch über die Grenzen hinweg die Gemeinschaft (kurzfristig) nicht ab. Multilokale Großfamilien sind Realität.
Das Leben in einem Übergangsraum, oder zwischen zwei Welten, bringt aber mittel- und langfristig Schwierigkeiten, Entwurzelung und Entfremdung mit sich. Das betrifft vor allem die Familien. In Rumänien leben geschätzt zwischen 95.000 und 160.000 Kinder, die mindestens ein Elternteil im Ausland haben3. Für Europa rechnet man zwischen 500.000 und 1 Million! Was diese – sowohl für Kinder als auch für Eltern bedeutet – muss nicht weiter erläutert werden. Die Mutter, die nur alle zwei Sommer nach Hause kommen kann, sonst aber mit der zehnjährigen Tochter nur per Zoom spricht, ist ein Sinnbild für Zerrissenheit.
Abwanderung und Zerrissenheit hinterlassen ihre Spuren in den lokalen Gemeinschaften, hier besonders auch in den Kirchengemeinden. Leistungsträger fehlen, in den lokalen Sozialgefügen tun sich Lücken auf, Strukturen überaltern, Kontinuität geht verloren. Die Folgen der Migration werden durch die Landflucht, bei der junge Familien – mit und ohne Kinder – in Städte ziehen, zusätzlich verschärft. Ein Bischof aus Osteuropa sagt: „Die Menschen, die in den Westen gehen, fehlen hier bei uns. Für uns ist das ein schmerzlicher Verlust.“
Für viele Menschen, vor allem aus Minderheitskirchen in Mittel- und Osteuropa, spielte die Heimatkirche in ihrem Herkunftsland eine wichtige lebensumfassende Rolle. Sie bedeutete nämlich: Gemeinschaft, eine Nachbarschaftsstruktur, die eigene Identität, Muttersprache, Heimat und feste Glaubenstraditionen. Das alles droht durch die Auswanderung verloren zu gehen.
Das Problem betrifft ganze Staaten, da in das Gesundheits- und Rentensystem ost- und mitteleuropäischer Länder viel weniger Einzahler zu verbuchen sind, weil die arbeitenden Erwachsenen ihre Steuern und Abgaben in anderen Ländern zahlen. Da oft zunehmend gut Ausgebildete ins Ausland ziehen, fehlt es auch an Fachkräften4.
Die Kirchen in Mittel- und Osteuropa sagen mit dem Leitwort der 9. Vollversammlung der GEKE:
„Wir sind zur Hoffnung berufen. Die Größe einer Kirche entscheidet sich nicht an ihrer Mitgliederzahl, sondern an ihren Aufgaben.“ So sind neue Impulse entstanden. Manche Kirchen haben sich für die Zweisprachigkeit oder Mehrsprachigkeit geöffnet. Wo Lücken gerissen worden sind, sind in Gemeinden häufig neue Energien
2 Der Wechsel von Deutschland nach Rumänien, von München nach Hermannstadt, dauert nur 1:20, solange eben der Flug dauert. Das ist kürzer als so mancher Wechsel innerhalb des eigenen Landes, wie der Weg von Bukarest bis Hermannstadt, für den man schon mal 5 Stunden rechnen muss.
3 Zahlen von 2019
4 In den letzten zehn Jahren sind allein 45.000 Ärzte aus Rumänien weggezogen.
entstanden, Menschen, die vorher nicht im Blick waren, haben Verantwortung übernommen und diese gut gemeistert.
Was kann getan werden?
Als Grundvoraussetzung muss gelten, dass die Menschen, die fortziehen, in ihrem Ursprungsland nicht zu Sündenböcken werden, und im Zielland nicht Bürger/Bürgerinnen zweiter Klasse! Migration gehört zu den bestehenden Lebensformen und die Zerrissenheit und Trauer der Menschen sind zu respektieren. Bei allem Schmerz, der verursacht wurde und wird, ermutigen wir die Menschen in den Ursprungsländern biographische Entscheidungen zu akzeptieren, und in den Zielländern die Menschen in ihrem neuen Lebensabschnitt zu begleiten.
An die Kirchengemeinden ergeht der Aufruf, für Transmigranten/innen Lebensräume zu schaffen, die Ihrem Lebensstil entgegenkommen. Teil einer Gemeinschaft (und Gemeindeglied einer Kirchengemeinde) darf man sein, auch wenn man nicht die gesamte Zeit am gleichen Ort lebt, und sich vielleicht nur im Urlaub in seinem Ursprungsland – also zuhause – aufhält. Die Kirchengemeinden und die diakonischen Werke in den Herkunftsländern und in den Zielländern werden gebeten, gemeinsam Wege zu finden, wie Familien, die durch Migration zerrissen sind, begleitet werden können. In diesem Zusammenhang erinnern wir zum Beispiel an das Projekt der GEKE mit dem GAW für die Unterstützung der Eurowaisen.
An die Kirchenleitungen ergeht die Bitte, die Frage der doppelten Mitgliedschaft zu erwägen. Sie erleichtert eine Eingliederung auch in dem neuen Umfeld5. Die Regierungen der Zielländer rufen wir auf, für gerechten Ausgleich zu sorgen: nicht nur Fachkräfte abzuwerben und sich darüber zu freuen, dass arbeitswillige und bezahlbare Pflegekräfte die Lücken der eigenen Gesellschaft füllen, sondern auch in Solidarität Regelungen finden, die die Bedarfe der Herkunftsländer berücksichtigen.
Sibiu/Hermannstadt/Nagyszeben, 1. September 2024
5 Positive Beispiele: Lutherische Slowaken, die im österreichischen Burgenland leben, können sowohl in der Evangelischen Kirche A.B. Österreich als auch in der Evangelischen Kirche A.B. in der Slowakei Mitglied sein. Die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien hat in Absprache mit Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland die doppelte Mitgliedschaft mit Gewinn für alle Betroffenen eingeführt.
Anhang 5: Interreligiöse Beziehungen im europäischen Raum im Kontext der gewaltsamen Konflikte im Nahen Osten. Aufruf der 9. Vollversammlung der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) in Sibiu 2024 an ihre Mitgliedkirchen
(1) Situation und Kontext
Die gewaltsamen Konflikte im Nahen Osten sind von grosser Tragweite. Sie fordern zahllose Opfer und drohen weiter zu eskalieren. Darüber hinaus beschädigen sie das Verhältnis zwischen den Religionsgemeinschaften sowohl in der Region als auch weltweit, erschüttern ihr Vertrauen zueinander und stellen Formen der Kooperation und des Dialogs vielerorts in Frage. Sie belasten nachhaltig unseren Dialog mit Juden und Muslimen auch in Europa. Wo Menschen nicht mehr miteinander reden, wachsen Vorurteile und die Bereitschaft zur Gewalt.
Dieser Entwicklung in unseren Gesellschaften wollen wir nicht sprach- und tatenlos zusehen. „Das Evangelium befreit und verbindet unsere Gemeinschaft zum gemeinsamen Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden in der Welt“ (Leuenberger Konkordie 36). Wir schliessen uns den Ausführungen des Studienprozesses
„Christliches Reden von Gott“ (2024) zum interreligiösen Dialog an: „Der interreligiöse Dialog ist [.] ein wichtiges Mittel zur Überwindung von Unwissenheit, Angst und Vorurteilen sowie bei der Suche nach Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt.“ (Art. 189, Z. 9-11).
Als Vollversammlung rufen wir deshalb unsere Mitgliedskirchen auf:
(2) Seid weiterhin zum Dialog mit den Menschen anderer Religion bereit und sucht neue Zugänge zueinander
• Hört zunächst auf Eure persönlichen Geschichten und wie diese das Denken prägen, um Argumente gegenseitig besser zu verstehen. Unvermittelte Sachdiskussionen führen beim Nahostkonflikt schnell in Sackgassen;
• Erzählt Euch von der Verortung des Nahostkonflikts in Eurer Biographie;
• Sprecht von Eurer Betroffenheit über die Eskalation der Gewalt im Nahen Osten und wie diese Euch verändert hat.
(3) Nehmt die Menschen anderer Religion und deren Glauben differenziert, respektvoll und wertschätzend wahr
• Verzichtet auf Pauschalurteile;
• Tretet jeder Form von Antisemitismus entgegen;
• Weist jede Form von Islamfeindlichkeit zurück;
• Schaut kritisch auf die Gefahr der Instrumentalisierung von Religion zur Begründung politischer Ansprüche.
Häufig werden Israelis und Palästinenser pauschal be- und verurteilt und polarisierend in Freund und Feind eingeteilt. Die Konflikte im Nahen Osten nötigen die Menschen zur einseitigen Parteinahme und lassen kaum noch Differenzierungen zu.
Auch in Europa verleiten die Konflikte dazu, Menschen jüdischen wie muslimischen Glaubens undifferenziert als eine geschlossene, homogene Gruppe (die Juden, die Muslime) wahrzunehmen und ihnen jeweils gemeinsame, vermeintlich gute oder böse Absichten oder Interessen zu unterstellen. Eine solche Wahrnehmung schadet den interreligiösen Beziehungen nachhaltig und verhindert Dialog.
(4) Bringt Empathie mit den Betroffenen zum Ausdruck
• Steht auf der Seite der Betroffenen von Terror, Gewalt und Unterdrückung, unabhängig davon, welcher Nation, Sprache oder Religion sie angehören;
• Leistet nach Kräften Beiträge zur humanitären Hilfe für die Betroffenen der Konflikte im Nahen Osten;
• Unterstützt durch Eure Kontakte zu den evangelischen Kirchen in der Region bzw. zur FMEEC die Christinnen und Christen des Nahen Ostens, die vor Ort selbst Betroffene und Vermittler in den Konflikten sind.
• Tretet für Gewaltlosigkeit, Verständigung und Versöhnung ein.
Die Konflikte im Nahen Osten verleiten zu einer Polarisierung, bei der nur das eigene Leid wahrgenommen und das Leid der anderen ignoriert wird. Christinnen und Christen sind dagegen aufgerufen, allen Betroffenen von Gewalt, Terror und Unrecht unabhängig von ihrer Religion beizustehen (vgl. Lukas 10,36 und die Frage „Wer ist mein Nächster/meine Nächste?“). Dieser Beistand ist eine wichtige Voraussetzung für die zukünftige Gestaltung interreligiöser Beziehungen.
(5) Versucht, die Sprachlosigkeit zu überwinden
• Tretet weiterhin handelnd und betend für Frieden und Gerechtigkeit in aller Welt und ein gutes Zusammenleben von Menschen verschiedener Religionen ein;
• Haltet es geduldig aus, wenn Menschen anderer Religionen dem Dialog fernbleiben;
• Wenn Euch die eskalierende Gewalt, die politischen Dilemmata oder die Position des Gegenübers sprachlos machen oder die Emotionen durchgehen lassen, zieht Euch für eine Weile zurück ins Innehalten, Schweigen oder Beten.
Eine Aufgabe für evangelische Kirchen in Europa kann darin bestehen, einen sicheren Begegnungsraum („safe space“) für Juden und Jüdinnen, Christen und Christinnen, Muslime und Musliminnen anzubieten, in dem Misstrauen und Vorurteile überwunden werden können.
Wir Christinnen und Christen in Europa werden ermutigt, zu jeder Zeit bereit zu sein, Dialoge wiederaufzunehmen und die Möglichkeit des Friedens zu leben (Römer 12,18).
Seid Euch bewusst, dass es für uns zum Dialog keine Alternative gibt.
Anhang 6: „Stellungnahme zur kirchlichen und sprachlichen Minderheiten- existenz. Stellungnahme der 9. Vollversammlung der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europe“
Die Mehrzahl der protestantischen Kirchen in Europa versteht sich als Minderheitskirche. Manche haben bereits Wurzeln in der Zeit vor der Reformation, andere waren in der Folge der Reformation gezwungen, sich als religiöse oder konfessionelle Minderheitengemeinschaft gegenüber der jeweiligen Mehrheitskirche zu definieren. Später gab es Kirchen, die, vor allem infolge historischer und gesellschaftlicher Veränderungen, zu einer Minderheit in Bezug auf Konfession, Sprache, Kultur oder ethnische Zugehörigkeit wurden. Die Erfahrung von Verfolgung, Flucht, aber auch von Religionsfrieden, Toleranz und friedlicher Koexistenz (wie in Siebenbürgen z. B. durch das Edikt von Thorenburg 1568) sind Teil dieser Geschichte. In anderen Teilen Europas hat die Konfessionalisierung religiös homogene Gebiete und eine mehrheitlich religiöse Landschaft mit einer umfassenden Kirchenstruktur und einem etablierten institutionellen Gefüge geschaffen. Aber auch einstige Mehrheitskonfessionen sind vor allem durch die gesellschaftliche Modernisierung, Säkularisierung und Entkirchlichung zu einer Minderheit in ihrem eigenen gesellschaftlichen Kontext geworden. Zu allen Zeiten bestand die Herausforderung für die Kirche darin, ihre eigene Position und ihre aktuelle Stellung im Verhältnis zu den geschichtlichen Erfahrungen zu interpretieren: als staatsrechtlich verfasste Kirche, als Volkskirche, als Minderheitenkirche oder als Diasporakirche. Alle protestantischen Kirchen haben also Erfahrungen mit der Minderheitensituation. Die Bewertung und Deutung dieser Situation fallen aufgrund der theologischen Voraussetzungen, politischen Rahmenbedingungen und der rechtlichen Kontexte unterschiedlich aus.
Die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE), ehemals Leuenberger Kirchengemeinschaft, hat die Herausforderungen von Minderheitensituationen auf der Ebene der gelebten kirchlichen Gemeinschaft, in Partnerschaften zwischen Mitgliedskirchen und auf der Ebene der theologischen Studienprozesse6 bewusst im Blick behalten. Sie hat versucht, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass die Zugehörigkeit zu einer konfessionellen Minderheit sowohl eine Quelle der gegenseitigen Bereicherung als auch des Konflikts sein kann. Es besteht die Chance, einen besonderen Auftrag (Zeugnis) im eigenen Kontext wahrzunehmen, aber auch das Risiko der (gegenseitigen / Selbst-) Ausgrenzung und der daraus folgenden Marginalisierung.
Die GEKE ist sich aber auch bewusst, dass die Minderheitensituation nicht nur die Folge der Ausbreitung der Reformation in politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen oder der durch europäische Kriege und Friedensverträge entstandenen Staatsgebilde ist. Neue innen- und außenpolitische Entscheidungen, militärische und kriegerische Konflikte führen zu neuen Diskriminierungen und eröffnen neue Kapitel individuellen und kollektiven Leids. Die heutigen Kriegskonflikte, politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Umwälzungen führen zu demografischen Veränderungen, wie Auswanderung oder Migration. Infolgedessen werden ehemalige Mehrheitskirchen zu Minderheitskirchen und manche Minderheits- kirchen sind in ihrer Existenz bedroht. Die GEKE ist sich aber auch der Tatsache bewusst, dass sich in einigen ihrer Mitgliedskirchen neue Minderheiten bilden,
6 Die Kirche Jesu Christi (1995); Kirche ‒ Volk ‒ Staat ‒ Nation (2001); Theologie der Diaspora (2018).
Gruppen von Menschen, die sich aufgrund der Flucht vor dem Krieg, Migration, sprachlicher und kulturellen Differenzen, aufgrund individuellen Lebensstils und geteilten Werten in einer zahlenmäßigen Minderheit wiederfinden. Gleichzeitig suchen sie Zuflucht und Verständnis innerhalb der christlichen Gemeinschaft, die nicht immer gewährt wird.
Die Vollversammlung macht die Mitgliedskirchen auf die raschen gesellschaftlichen Veränderungen aufmerksam, die das Leben und das Zeugnis der Mitgliedskirchen nicht unberührt lassen. Die Vollversammlung empfiehlt ihren Mitgliedskirchen daher:
- ihre eigene Minderheitensituation und -erfahrungen offen zu reflektieren;
- sich die Frage zu stellen, wie sie mit ihren eigenen kircheninternen Minderheitengruppen umgeht, und wo Hindernisse für eine dem Evangelium gemäße Akzeptanz liegen;
- ihre eigene Geschichte zu reflektieren, inwieweit sie daran beteiligt waren, Minderheiten zu unterdrücken, und gegebenenfalls eine Aufarbeitung dieser Geschichte anzustoßen;
- sich in der Gesellschaft für die Rechte von Minderheiten einzusetzen, und wo nötig im Rahmen der GEKE international für die Anerkennung kirchlicher, sprachlicher und nationaler Minderheiten einzutreten;
- in ihren eigenen Kontexten zu versuchen, Brücken zwischen Mehrheit und Minderheit in Bezug auf religiöse und konfessionelle, sprachliche und kulturelle, ethnische und nationale Identitäten zu bauen.
Wir ermutigen die Mitgliedskirchen Gelegenheiten zum Erfahrungsaustausch zu suchen, um voneinander zu lernen und sich bei der Suche nach Lösungen für ihre eigene Minderheitensituation gegenseitig zu unterstützen. Wir ermuntern die Mitgliedskirchen die gelebte Kirchengemeinschaft (in Wort und Sakrament) als Quelle und Motivationskraft der Solidarität und der Verantwortung füreinander zu intensivieren.
Sibiu/Hermannstadt/Nagyszeben, 1. September 2024
Es gilt das gesprochene Wort!