Evangelische Kirchengemeinde A.B. Schäßburg
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Besondere Anlässe:

Hoher geistlicher Besuch aus der Evangelischen Kirche in Baden (Schäßburg, 5.6.2024)
Andacht anlässlich 300. Geburtstag Samuel von Bruckenthal (26.7.2021)
Predigt des Bischofs Reinhart Guib zur Einweihung der Winterkirche (21.10.2018)
Glaube kann nur dann wahrhaftig sein, wenn er auch tolerant ist. (Dinkelsbühl, 15.5.2016)
„Glauben und Gedenken, 70 Jahre Deportation” (Karlsruhe Epiphanias 2015)
Trauerpredigt für Hermann Baier am 18. 4. 2013
Einführung von Landesbischof Reinhard Guib (12. Dezember 2010)
Reformationsfest (31.10.2008)
Ostersonntag (23.3.2008)
Leuenberger Konkordie Reformationsfest (31.10.2005)
Tsunamikatastrophe (31.12.2004)
10 Jahre Pflegenest (5.9.2004)










Hoher geistlicher Besuch aus der Evangelischen Kirche in Baden, 5. Juni 2024 

In der ersten Juniwoche bereiste Landesbischöfin Prof. Dr. Heike Springhardt mit einer Gruppe von Dekaninnen und Dekanen der Evangelischen Kirche in Baden Siebenbürgen bzw. die Evangelische Kirche A. B. in Rumänien. Dabei wurden Hermannstadt, Heltau und Kronstadt, aber auch Schäßburg besucht. 



Am Mittwoch, dem 5. Juni 2024 wurde die Gruppe von Stadtpfarrer und Dechant Dr. Hans Bruno Fröhlich in der Bergkirche zu Schäßburg empfangen. In einem etwa anderthalbstündigen Gespräch wurde den Gästen Kirchen, Gemeinde und Bezirk vorgestellt. Es ergab sich jedoch auch ein reger Austausch im Blick auf das "kleiner werden" von Kirche, eine Erfahrung, die auch den Badenern inzwischen nicht mehr fremd ist. Dass Siebenbürgen nicht nur landschaftlich reizvoll, sondern auch von seiner Geschichte und Kirchengeschichte her eine interessante Region (vor allem im Blick auf die Toleranz und Religionsfreiheit - Edikt von Thorenburg, 13. Januar 1568) ist, durften vor allem jene erfahren, die zum ersten Mal hier waren. 



Für Frau Landesbischöfin Springhardt war es nicht der erste Besuch; bereits letztes Jahr trafen wir uns hier in Schäßburg und aus Ihrer Zeit als Studienleiterin im Morata-Haus gibt es enge geschwisterliche Beziehungen zu Pfarrern aus Siebenbürgen, die in Heidelberg das sogenannte "Kontaktstudium" in Anspruch nehmen durften.



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Andacht anlässlich der 300. Geburtstag von Samuel von Bruckenthal, 26. Juli 2021 

Te Deum cu ocazia comemorării a 300 de ani de la naşterea lui Samuel von Brukenthal, 26 iulie 2021 

2021. július 26-an, áhítat Samuel von Bruckenthal 300. születésnapja alkalmából 


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Choral „Großer Gott wir loben dich“ (Nr. 275,1 – 2)

Lasst uns beten! /Domnului să ne rugăm! (Psalm 145 i. A.)
Ich will dich erheben, mein Gott, / und deinen Namen loben immer und ewiglich. 
Kindeskinder werden deine Werke preisen / und deine gewaltigen Taten verkündigen. 
Sie sollen reden von deiner Pracht; / deinen Wundern will ich nachsinnen. 
Gnädig und barmherzig ist der HERR, / geduldig und von großer Güte. 
Es sollen dir danken, HERR, alle deine Werke / und deine Heiligen dich loben. 
Die Ehre deines Königtums sollen sie rühmen / und von deiner Macht reden. 
Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist.
Wie es war im Anfang, jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Înălța-Te-voi Dumnezeul meu, / și voi binecuvânta numele Tău în veacul veacului. 
Neam și neam vor lăuda lucrurile Tale / și puterea Ta o vor vesti. 
Măreția slavei sfințeniei Tale vor grăi / și minunile Tale vor istorisi. 
Îndurat și milostiv este Domnul, / îndelung-răbdător și mult-milostiv. 
Să Te laude pe Tine, Doamne, toate lucrurile Tale / și cuvioșii Tăi să Te binecuvânteze. 
Slava împărăției Tale vor spune / și de puterea Ta vor grăi.
Mărire Tatălui și Fiului și Sfântului Duh.
Și acum și pururea și în vecii vecilor. Amin.

Wir sammeln uns um Worte der Heiligen Schrift aus dem 1. Buch Samuel im 3. und im 20. Kapitel: 
Samuel aber wuchs heran, und der HERR war mit ihm und ließ keines von allen seinen Worten zur Erde fallen. 20. Und ganz Israel von Dan bis Beerscheba erkannte, dass Samuel damit betraut war, Prophet des HERRN zu sein. 21. Und der HERR erschien weiterhin zu Silo …[und] … offenbarte sich Samuel … Da sprach Samuel zu ganz Israel: Siehe, ich habe eurer Stimme gehorcht in allem, was ihr mir gesagt habt, und habe einen König über euch gesetzt. Siehe, nun wird euer König vor euch herziehen; ich aber bin alt und grau geworden, ….  Der HERR verstößt sein Volk nicht um seines großen Namens willen; denn es hat dem HERRN gefallen, euch zu seinem Volk zu machen. 
Der Herr segne sein Wort an unsern Herzen!

Liebe Brüder und Schwestern!
Die verlesenen Verse sind zwei Fragmente vom Anfang und vom Ende einer längeren Geschichte über eine bemerkenswerte Gestalt des Alten Testaments: Samuel oder Schmu-El (so die ursprüngliche hebräische Version des Namens). Es ist eine komplexe, vielschichtige Persönlichkeit, die prophetische und priesterliche aber auch administrative und judikative Funktionen zeitgleich ausgeübt hat. Samuel lebte irgendwann im 11. Jahrhundert v. Chr. und steht im Alten Testament symbolisch für einen wichtigen Zeitenwandel, den das Volk Israel durchschreitet, nämlich jenen von einer Stammeskultur zu einer Erbmonarchie. 
Samuel ist nicht nur Prophet, wie wir aus der biblischen Geschichte gehört haben, sondern auch der letzte Richter des Alten Testamentes, wobei jene Richter nur schwer mit dem zu vergleichen sind, was heute unter diesem Begriff gemeint ist. Sie waren charismatische Persönlichkeiten, vor denen das Volk sich in Notsituationen versammelte. Das konnte z. B. Krieg mit anderen Völkern, Streit untereinander oder Strafe Gottes aus unterschiedlichen Gründen sein. Die Aufgabe dieser Richter war dann nicht nur jene Recht zu sprechen, sondern auch Gesetze zu erlassen, Ratschläge zu erteilten oder zu Gott zu beten bzw. Weisung von ihm zu erhalten, um die Verhältnisse wieder zu stabilisieren. Bemerkenswert (und für uns im 21. Jh. vielleicht auch etwas sonderbar) ist, dass dieses Richteramt des Alten Testamentes politisches und geistliches Amt zugleich war. 
Irgendwann aber wurde dieser Mix aus Verwaltung, Regierung und geistlicher Leitung nicht mehr als zeitgemäß empfunden und da die Nachbarvölker Israels Schritt für Schritt zu Monarchien als Regierungsform übergingen, tat Israel dasselbe. Samuel ist es, der den ersten König Israels, nämlich Saul, salbt und damit den Übergang von der Richterzeit zum Königtum herbeiführt. Er ist ein Modernisierer im wahrsten Sinne des Wortes. 
Der Name Samuel hat zwei Bedeutungen: einerseits „Der von Gott erbetene“, da seine Mutter Hanna lange kinderlos war, und dieses Kind unter Tränen von Gott erfleht hatte. Kinderlosigkeit galt damals als Strafe Gottes und Hanna dankt Gott damit, dass sie diesen Sohn sozusagen Gott zurück gibt, indem sie ihn schon als Kind dem Priester Eli im Heiligtum Silo anvertraut. Die andere Bedeutung ist „Der von Gott erhörte“. Zu Samuel kommen die Menschen mit ihren diversen Anliegen, weil sie wissen, dass sein Gebet von Gott erhört wird (Gott lässt keines seiner Worte „zur Erde fallen“) und weil seine Weisung untergöttlicher Autorität geschieht. Soweit die Geschichte des biblischen Samuel.
Mir ist es sehr wohl bewusst, dass man nur schwer eine Verbindung zwischen Israel im 11. Jh. v. Chr. und Siebenbürgen im 18. Jh. n. Chr. herstellen kann, sei es in politischer, kultureller oder religiöser Hinsicht. Ich habe diese alttestamentliche Geschichte aber darum ausgewählt, weil der Name SAMUEL Programm zu sein scheint: 
•             Programm für einen vielseitig begabten Menschen, 
•             Programm für jemanden, der für seine Mitmenschen Verantwortung bereit zu übernehmen ist, 
•             Programm für einen Modernisierer, der sich gleichzeig seiner Wurzeln bewusst ist. 
„Fidem genusque servabo“ (Meinem Glauben und meinem Volk diene ich oder bleibe ich treu): diesen Spruch – den Samuel von Brukenthal gesagt haben soll, als er in Wien höhere Ämter in Aussicht gestellt bekam – hätte wahrscheinlich auch der alttestamentliche Samuel geprägt, wenn er vor die Wahl gestellt worden wäre, zu Hause in Israel weiter sein Propheten- und Richteramt auszuüben, oder ein gut dotiertes administratives Amt, z. B. in Memphis zu bekommen (der Vergleich zwischen der Hauptstadt des Neuen Pharaonenreiches und der Kaiserstadt Wien hinkt ein wenig, aber Sie haben verstanden was ich meine).
Wir gedenken hier am Geburtsort Samuel von Brukenthals, heute 300 Jahre danach in Dankbarkeit eines Menschen, der in schwerer Zeit sich mit Energie und Können eingebracht hat und mit Mut und Phantasie wichtige Entscheidungen für sein Volk getroffen hat: in erster Linie waren es sicherlich Entscheidungen politischer und administrativer Natur; wenn man jedoch tiefer blickt, entbehren sie nicht eines geistlichen Tiefgangs. Dass er daneben auch noch ein großer Kunstsammler, Kulturförderer und auf Bildung für alle Bedachter war, lässt ihn um so mehr als leuchtendes Beispiel auch 300 Jahre nach seiner Geburt erscheinen. Es ist für mich eine große Ehre, ein Landsmann des Samuel von Brukenthal zu sein.  
Die Aufklärung, deren Kind Samuel von Brukenthal war, hat dazu geführt, dass wir heute zwischen politischem und geistlichem Amt sehr wohl zu unterschieden wissen. Das ist grundsätzlich gut und richtig, denn wir sehen auch heute noch was geschehen kann, wenn die Religion (nicht unbedingt die christliche) zum Steigbügelhalter von Autokraten und Diktatoren wird. Wichtig und wesentlich ist aber – und das ist gültig zu allen Zeiten – dass Menschen mit hohen Funktionen und wichtigen Verantwortlichkeiten nicht vergessen, dass auch sie selber einer höheren Macht unterstehen, und dass sie einen Dienst ausüben, der sich Höherem und Wichtigerem als nur eigenen Interessen unterordnet. Bei Samuel von Brukenthal wie auch bei seinem Namensvetter aus dem Alten Testament kann man lernen, was es heißt im Dienst des Mitmenschen zu stehen. Man darf und soll dies tun in der Zuversicht des anfangs verlesenen Bibelwortes: „Der HERR verstößt sein Volk nicht um seines großen Namens willen.“ (1. Samuel 20,22) Amen.

Lasst uns beten (jeder in seiner Muttersprache): 
Vater unser im Himmel / Geheiligt werde Dein Name / Dein Reich komme / Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden. / Unser tägliches Brot gib uns heute / Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigeren. / und führe uns nicht in Versuchung, / sondern erlöse uns von dem Bösen. / Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit, in Ewigkeit. Amen.

Tatăl nostru, Care eşti în ceruri, sfinţească-se numele Tău; / Vie împărăţia Ta; facă-se voia Ta, precum în cer şi pe pământ. / Pâinea noastră cea spre fiinţă dă-ne-o nouă astăzi; / Şi ne iartă nouă greşealele noastre, precum şi noi iertăm greşiţilor noştri; / Şi nu ne duce pe noi în ispită, ci ne izbăveşte de cel rău. Că a Ta este împărăţia şi puterea şi slava în veci. Amin!

Mi Atyánk, ki vagy a mennyekben! / Szenteltessék meg a Te neved! / Jöjjön el a Te országod! / Legyen meg a Te akaratod! / Mint a mennyben, úgy a földön is! / A mi mindennapi kenyerünket / add meg nékünk ma! / És bocsásd meg a mi vétkeinket! / Mint mi is megbocsátunk azoknak / akik ellenünk vétkeztek! / És ne vígy minket kísértetbe! / De szabadíts meg minket a gonosztól. / Mert tiéd az ország és a hatalom és a dicsőség, mind örökké. Ámen.

Segen: 
Es segne und behüte uns der allmächtige und barmherzige Gott, der Vater der Sohn und der Heilige Geist! / Să vă binecuvânteze atotputernicul și milostivul Dumnezeu: Tatăl, Fiul și Duhul Sfânt. Amin 
Choral „Großer Gott wir loben dich“ (Nr. 275,4 – 5)




Es gilt das gesprochene Wort!

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„Glauben und Gedenken, 70 Jahre Deportation”

Epiphanias - 6.1.2015, Karlsruhe - Predigt zu Jesaja 43,14 - 15, 18 - 19, 21

14. So spricht der HERR, euer Erlöser, der Heilige Israels: Um euretwillen habe ich nach Babel geschickt und habe die Riegel eures Gefängnisses zerbrochen, und zur Klage wird der Jubel der Chaldäer.
15. Ich bin der HERR, euer Heiliger, der ich Israel geschaffen habe, euer König. 
...
18. Gedenkt nicht an das Frühere und achtet nicht auf das Vorige! 
19. Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr's denn nicht? Ich mache einen Weg in der Wüste und Wasserströme in der Einöde.
...
21. das Volk, das ich mir bereitet habe, soll meinen Ruhm verkündigen. 


Liebe Schwestern und Brüder!
I. Die Pilgerreise „Glauben und Gedenken” hat sich für ihre Stationen - von denen wir heute die vorletzte erreicht haben - jeweils zwei Themen gesetzt. Diese sind - gleichsam den beiden Brennpunkten einer Ellipse - dazu angetan, ein Stück Geschichte der Vergessenheit zu entreißen und die richtigen Lehren daraus zu ziehen. Einerseits rufen wir uns das Schicksal von den ca. 75.000 Rumäniendeutschen (30.000 davon waren Siebenbürger Sachsen) in Erinnerung, welche zwischen dem 13. und 15. Januar 1945 in die damalige Sowjetunion deportiert wurden. Daneben ist heute das Thema „Bildung”, Gegenstand unseres Nachdenkens. Dass wir als kleine Gemeinschaft auch dank unserer Bildung (oder besser gesagt: dank unseres Bildungswesens) über Jahrhunderte überlebt haben, ist bekannt. Doch diese Thematik kann in einer Predigt nicht ausschöpfend behandelt werden und ist im Anschluss an diesen Gottesdienst, Gegenstand eines eigenen Vortrags. Wozu ich einladen möchte ist, die beiden Themen miteinander zu verknüpfen und die Deportation selber als Gegenstand von Bildung (historischer und theologischer Natur) anzusehen. 

II. 1. Wenn ich über die Deportation unserer Vorfahren als historisches Ereignis nachdenke, dann kommen bei mir Kindheitserinnerungen hoch. Es sind die Erzählungen meiner Großmutter (welche selber deportiert war), die mich als Heranwachsenden mit diesem Kapitel unserer Geschichte vertraut werden ließen. Was ich hörte, war das, was man heute als „oral history” bezeichnen würde; Begebenheiten aus subjektiver Betroffenheit im engsten Familienkreis erzählt, da öffentlich im damaligen kommunistischen Rumänien darüber nicht gesprochen werden durfte. Der Inhalt dieser Geschichten kreiste um drei Dinge:
1) Die schlechte und immer unzureichende Nahrung.
2) Die extrem schwere Arbeit bzw. die unmenschlichen Arbeitsbedingungen (z. B. untertage in kniehohem Wasser oder im Freien bei zweistelligen Minusgraden).
3) Der bedrückende Lageralltag mit allem was dazugehört: zusammengepferchtes Wohnen in Baracken, die Seele geplagt von Traurigkeit und Heimweh und der Körper geplagt von Läusen und Wanzen. Etwa 15 % der Deportierten haben diese Strapazen NICHT überlebt die andern sind für den Rest ihres Lebens davon geprägt worden. Was mir jedoch rückblickend auffällt ist, dass in diesen Erzählungen die Schuldfrage, oder die Frage der Verantwortlichkeit für all das Geschehene eher am Rande zur Sprache kam. Vor allem aber war aus diesen Geschichten nie ein Groll gegen die ortsansässige russische bzw. ukrainische Bevölkerung heraus zu hören. Im Gegenteil: immer wieder hieß es, dass es den Einheimischen bei weitem schlechter gegangen sei, als den Deportierten. Auch die Lageraufseher (die berühmt-berüchtigten „Natschalniks”) wurden differenziert beschrieben. Manche schafften es auch unter den Bedingungen, ein menschliches Angesicht zu bewahren. Mitunter waren es Mitdeportierte, Leute aus den eigenen Reihen - die sich schnell angepasst, russisch gelernt und sich den Behörden als Gehilfen angebiedert hatten - welche, gefürchteter waren, als die russischen Beamten selber. Das Fazit aus diesen Erzählungen war, dass dort Gott am Werk gewesen ist: einerseits mit starker Hand, zugleich aber in seinem unermesslichen Erbarmen. Damit kommen wir zum theologischen Aspekt.
2. In der theologischen Aufarbeitung der Deportation kann uns das Alte Testament zur Verstehens- und Deutungshilfe werden. Einige seiner Bücher sind gerade in der Auseinandersetzung mit Gefangenschaft und Flucht; Krieg und Verschleppung entstanden. Nicht zufällig dienen uns als Predigtwort Verse aus dem Teil des Buches des Propheten Jesaja, welches sich mit der Befreiung und der Heimkehr der Exilierten aus Babylon auseinandersetzt. Man möge bedenken, dass die Gefangenschaft des Volkes Israel 70 Jahre dauerte; d. h. die Mehrheit der Deportierten die Heimkehr gar nicht mehr selber erlebt haben, sondern erst die nachfolgenden (in Babylon geborenen) Generationen. Bemerkenswert ist, wie der Prophet die Deportation bewertet. Einerseits wird sie als Strafe angesehen: u. z. darum weil die Menschen an Gott schuldig geworden waren; sie hatten IHM nicht das nötige Vertrauen entgegen gebracht. Ein immer wieder kehrender Vorwurf ist der, dass Israel von Gott abgefallen war. Doch mit dem Ende der Gefangenschaft ist die Strafe aufgehoben und genau darauf bezieht sich der Prophet, wenn er sagt: „Gedenkt nicht an das Frühere und achtet nicht auf das Vorige!” (V. 18) Andererseits bedeutet Deportation in alttestamentlicher Lesart Zeit der Läuterung, Zeit des In-sich-gehens. Gerade Entbehrung und Einschränkung sollen die Betroffenen dazu animieren, sich selber neu zu finden, sich selber in einem neuen Licht zu sehen. „Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr's denn nicht?” (V. 19) Als wichtig und wesentlich hält der Prophet fest: Israel soll dessen innewerden, dass Gott der Urheber dieser Befreiung ist. „Um euretwillen habe ich nach Babel geschickt und habe die Riegel eures Gefängnisses zerbrochen” (V. 14). Er ist der Gott, welche die politischen Mächte in ihre Schranken weist („Zur Klage wird der Jubel der Chaldäer” V. 14). Ziel ist die Wiederherstellung der Beziehung zwischen Gott und seinem Volk: „Das Volk, das ich mir bereitet habe, soll meinen Ruhm verkündigen.” (V. 21). Israel hat Gefangenschaft und Befreiung als pädagogische Maßnahme Gottes an seinem Volk angesehen. Es scheint so zu sein, dass gerade in Babylon, Israel zu dem auserwählten Volk herangereift ist, als welches es sich später verstanden hat.

III. Es ist schon sonderbar (vielleicht auch ein Stück Ironie der Geschichte), dass jetzt - wenn unsere Gemeinschaft nur noch zu einem Bruchteil in Siebenbürgen lebt - ihre Akzeptanz dort so groß ist, wie sie es vielleicht nie war. Doch genau solche Momente können Gefahren bergen, weil genau dann der Mensch dazu neigt, überheblich zu werden. Aus solchen Denkansätzen können Handlungen folgen, die nicht zu billigen sind. Die Lehre - vor dem Hintergrund, dass es genau umgekehrt sein kann, nämlich dass man als kleine Gemeinschaft oder als Minderheit von einer Mehrheit geächtet wird - (diese Lehre) besteht nach meinem Dafürhalten in zwei Dingen:
1) Mit dem Mitmenschen (unabhängig davon wie sehr er sich nach Ethnie, Kultur oder Weltanschauung von einem selber unterscheidet), ist (mit)menschlich umzugehen. Dass menschliche Würde nicht Verhandlungsgegenstand sein kann, klingt zwar so selbstverständlich, ist aber längst nicht überall angekommen und kann darum nicht oft genug betont werden: nicht nur in den kommunistischen Nachfolgestaaten, sondern auch in festgefügten Demokratien.
2) Gott ist als Urheber unseres Heils zu sehen und ihm ist täglich dafür zu danken. Auch dies sollte dem (Christen)Mensch eigentlich klar vor Augen stehen; manche lernen es aber erst dann, wenn sie Gottes „starke Hand” spüren und andere wiederum nicht einmal dann. Die Erfahrung - dass auch (oder gerade) in solchen Momenten GOTT in seiner „grenzenlosen Gnade” dem Menschen zugewandt ist - dürfen wir von den Deportierten, die das bezeugt haben übernehmen und zu der unsrigen werden lassen. 

Amen.

Hans Bruno Fröhlich, Stadtpfarrer



Es gilt das gesprochene Wort!

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„Glaube kann nur dann wahrhaftig sein, wenn er auch tolerant ist.”

Rede an der Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl am 15.5.2016


Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Brüder und Schwestern!
I. An diesem Heimattag wurde es bereits mehrfach angesprochen, dass vor etwa drei Monaten innerhalb einer Woche zwei Türme namhafter Kirchenburgen eingestürzt sind: u. zw. jener aus Rothbach im Burzenland und jener aus Radeln im Repser Land. Es sind nicht die ersten Baudenkmäler mit Symbolwert, denen dieses Schicksal widerfährt und es werden aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht die letzten gewesen sein. Zum Schäßburger Kirchenbezirk – dem ich als Dechant vorstehe – gehört seit 1978, als der Bistritzer Bezirk aufgelöst wurde, auch Nordsiebenbürgen dazu. Allein in meiner Amtszeit (2002 – 2010 und ab 2014 beginnend) stürzten die Kirche aus Groß-Eidau und jene aus Jakobsdorf bei Bistritz ein. Das Medieninteresse war damals viel geringer; möglicherweise war man bei Nordsiebenbürgen auch eher darauf gefasst oder eingestellt. Einer meiner Lehrer an der Theologischen Fakultät in Hermannstadt – der vorher Pfarrer in Bistritz und im Nösner Land gewesen war – sagte uns Anfang der neunziger Jahre: „Ich komme aus der Zukunft.“ Damit meinte er, dass das Schicksal Nordsiebenbürgens auch Südsiebenbürgen bevorstünde. Und so ist es gekommen: was bereits in den 1970er und 80er Jahren im Nösner Land zu beobachten war, wurde nun auch im Repser und im Burzenland Realität.
Es ist eine nüchterne Feststellung, welche wir uns zu Eigen machen müssen, auch wenn es schwer fällt: Unsere klein gewordene Kirche wird nicht ihr gesamtes immobiles Kulturgut halten können. Gemeint sind damit nicht nur Kirchen und Kirchenburgen, sondern auch Pfarrhäuser, Schulen, Gemeindesäle, Friedhöfe usw. Für uns als Siebenbürger Sachsen und für mich als evangelischen Pfarrer haben diese jahrhundertealten steinernen Zeugen außer ihrem materiellen Wert, auch wie bereits gesagt einen symbolischen Wert. In einer Zeit des Werteverfalls, des Wertewandels und der Neudefinierung von Werten, hat darum der Einsturz einer Kirchenburg selber Symbolwert. Es sind Zeichen, die zum Nachdenken anregen. Aber damit bin ich schon sehr tief in eine Problematik eingestiegen, die mich persönlich natürlich sehr beschäftigt, die ich aber eigentlich nur als Aufhänger für einige Gedanken nehmen wollte, die ich Ihnen an dieser Stelle unterbreiten möchte.

II. Wir befinden uns an der Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl; nach der Definition ihrer Urheber "ein Ort der Erinnerung, der Besinnung und inneren Einkehr, ein Symbol der gemeinsamen Heimat" (Siebenbürgische Zeitung, Folge 8 vom 25. Mai 2007). Sie ist das Werk eines aus Schäßburg stammenden Architekten: Hans Wolfram Theil. Wer hätte gedacht, dass 40 Jahre nach der Einweihung dieser Gedenkstätte die Stadt Dinkelsbühl mit Schäßburg eine Städtepartnerschaft schließen würde? Dinkelsbühl ist für unsere Gemeinschaft (ich erlaube mir jetzt ethnische, kulturelle und kirchliche Gemeinschaft in einem Atemzug zu nennen) ein besonderer Ort. Wer ausgewandert ist, braucht nicht nur Wohnung und Arbeitsplatz, Urlaubsort und Vereinshaus, sondern auch einen Ort, an dem man das Zusammengehörigkeitsgefühl und ein Stück des kollektiven Gedächtnisses, pflegen kann. Dinkelsbühl und diese Gedenkstätte ist ein solcher Ort. Aber – und das dürfen wir nicht vergessen – alles, was von menschlicher Hand geschaffen wurde, ist zeitlich. Es darf uns wichtig sein, aber wir dürfen uns nicht zu sehr daran binden.
Als einer der nie länger als zweieinhalb Monate am Stück hier in Deutschland gelebt hat, der aber hautnah mitbekommen hat, wie binnen weniger Monate mein siebenbürgischer Heimatort zur Geisterstadt wurde, habe ich mir seit meiner frühen Jugend Fragen gestellt, die sich wahrscheinlich viele von Ihnen auch gestellt haben und heute noch stellen: Was bedeutet Heimat? Wo gehöre ich hin? Welche Werte definieren meine Existenz? Wo kann ich zu Hause sein? Die Anfrage der Organisatoren des Heimattages, hier an der Gedenkstätte zu sprechen, hat mich herausgefordert, darüber neu nachzudenken. Gedenken bedeutet für mich vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Vergangenheit (eigene Erfahrungen, aber auch Erfahrungen, die die Vorfahren gemacht haben), die richtigen Schlüsse für die Gegenwart zu ziehen und Orientierung für die Zukunft zu suchen. Und es bedeutet – auch wenn dies unangenehm werden kann –, sich selbst und seine Vergangenheit kritisch zu beleuchten, um daraus die richtigen Lehren zu ziehen.


Stadtpfarrer Hans Bruno Fröhlich hielt eine wegweisende Rede
an der Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl.
Foto: Hans-Werner Schuster

Die Zeit, in der wir leben, ist gekennzeichnet durch paradoxe Situationen:
EINERSEITS sind wir durch Personalisierung und Individualisierung so unabhängig, wie wir es nie waren; das führt – positiv ausgedeutet – zu ungeahnten Freiheiten. Für die Gestaltung des Alltags braucht man die Gemeinschaft gar nicht mehr. Wenn man in einen akuten Notfall gerät, ist die Nachbarschaft schon lange nicht mehr der richtige Ansprechpartner. Zugleich aber – und diese negative Seite darf nicht außer Acht gelassen werden – führt diese Entwicklung auch zu nie dagewesenen Egoismen; gerade weil ich den Menschen neben mir nicht mehr unmittelbar brauche, droht er aus meinem Blickfeld zu geraten.
ANDERERSEITS schreiten Globalisierung und Internationalisierung unaufhaltsam voran; und sie tun dies – bedingt durch die technischen Möglichkeiten im digitalen Zeitalter – immer schneller. Das kann für den Einzelnen bedeuten, dass das Mitkommen mit dieser Entwicklung immer schwieriger wird und er oder sie sich immer unverstandener und unwichtiger fühlt. Das alles kann die Chance mit sich bringen, andere Kulturen oder Lebenseinstellungen kennen zu lernen oder die bekannten neu zu bewerten. Viel mehr als früher besteht heute die Möglichkeit, auf einen Menschen mit einem andern kulturellen Hintergrund, aus einer anderrn Erlebniswelt zuzugehen und sich in seiner Lebenswelt, in seinem Denken ein Stück wieder zu finden, ohne die eigene Identität aufgeben zu müssen. Diese Entwicklungen führen zu einem Leben in mehreren Welten oder zwischen unterschiedlichen Welten. Es kann Krise oder Chance sein. Oder beides zugleich. In diesem Kontext stellen sich die Fragen „Wo gehöre ich hin? Was definiert mich? Wo kann ich bleiben was ich bin, und wo muss ich mich weiter entwickeln?“ in einem anderen Licht. Die Antworten auf diese komplexen Fragestellungen können an dieser Stelle nur fragmentarisch ausfallen.

Das Wochenmagazin „Der Spiegel“, dem man nun wirklich nicht vorwerfen kann mit Gefühlsduselei zu agieren oder einer Heimattümelei zu frönen, brachte vor ein paar Jahren einen Beitrag unter dem Titel:
„Was ist Heimat? Wo man mich versteht“.
Der Autor Stefan Kuzmany scheibt:„Sein, wer man sein will, Gleichgesinnte finden, sich am richtigen Platz fühlen: Das kann man überall auf der Welt. In Berlin, in der bayerischen Provinz oder auch in Buenos Aires. Denn Heimat ist kein Ort. Heimat ist ein Gefühl. … Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl: Wo mich die Menschen verstehen, wo ich mich nicht verstellen muss, wo Leute sind, die ich mag und die mich mögen, da bin ich daheim. … Heimat entsteht, wenn man die Fähigkeit hat, sich wohl zu fühlen dort, wo man ist. Wer das nicht kann, ist nie daheim – selbst wenn er seinen Geburtsort niemals verlassen hat. Heimat kann man sich machen. Egal wo.“
(Spiegel Online vom 7. April 2012).
Die eingangs gestellten Fragen in dem vorhin beschriebenen paradoxen Lebenskontext betrachtet, haben mich, wie es der Spiegel-Autor sagt, dazu geführt, mir eine Heimat zu kreieren. Nach 1989 in einem sich ständig wandelnden Rumänien, wo meine Gemeinschaft sozusagen inexistent geworden war, wo ich aber leben wollte, musste ich dies tun. Diese von mir zurechtgelegte Heimat hat zwei Aspekte: einen geistlichen und einen ethnisch-kulturellen, wobei sich diese beiden Bereiche überschneiden. Das dominante Lebensgefühl dabei ist die Existenz in und das Pendeln zwischen unterschiedlichen Welten (oder eben „die Fähigkeit mich dort wohlzufühlen, wo ich bin“). Was will ich damit sagen?

A. Meine geistliche Heimat ist selbstverständlich die Evangelische Kirche A. B. aus Siebenbürgen mit ihrem reformatorischen geistlichen Profil, mit ihren jahrhundertealten Kirchenburgen und ihren Bräuchen, die über Jahrhunderte hinweg dem Leben Ordnung und Sinn gegeben haben. Aber gerade in dieser Zeit, in welcher Religion als zunehmend gefährlich wahrgenommen wird (gemeint ist natürlich Religion in ihrer fundamentalistischen Ausprägung), ist die Einsicht wichtig, dass Glaube nur dann wahrhaftig sein kann, wenn er auch tolerant ist, wenn er den andern als solchen stehen lassen kann. Aber mehr noch: der Glaube des andern – wenn ich ihn als solchen akzeptiere – kann meinen eigenen Glauben bereichern, gerade weil er anders ist. (Ich war begeistert, diese Idee auch bei Andrei Pleşu vorzufinden, und zwar im Vorwort seines lesenswerten Buches „Parabolele lui Iisus. Adevărul ca poveste“, Humanitas 2012).
Man spricht heute von einer „interkulturellen“ Theologie, einer „Theologie der Anerkennung“. So sehr mir meine Kirche am Herzen liegt, so muss ich immer im Blick haben, dass die von ihr vertretene Weltanschauung und Wertvorstellung nicht alleine selig macht und meine Suche nach Wahrheit nicht die einzige sein kann. Ein guter Freund, der orthodoxer Pfarrer ist, hat gesagt: „Es ist höchste Zeit einzusehen, dass Gott und der Glaube kein Monopol einer (auch nicht meiner eigenen) Kirche sein kann.“ Es ist ein mündliches Zitat aus dem Rumänischen übersetzt und geht auf meinen väterlichen Freund aus Schäßburg, Pfr. i. R. A. Dobre zurück. Derselbe Gedanke ist vor wenigen Tagen aber auch von dem bekannten evangelischen Pfarrer und Wegbereiter der Friedlichen Revolution in der DDR, F. Schorlemmer in einem Interview mit der Zeitung „DIE ZEIT“ (No 21 / 12. Mai 2016) geäußert worden: „Die Wahrheit gibt es heute im Plural! Wer nur auf seine eigene pocht, den müssen wir fürchten.“

Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Wenn ich in die Schäßburger Klosterkirche eintrete, dann bin in geistlich zu Hause, weil ich mich Gott nahe fühle und mit den Vorfahren und den jetzt Lebenden im Glauben verbunden bin. Aber wenn die Ökumenische Gebetswoche in Schäßburg läuft und wir gemeinsam mit den Vertretern der andern Konfessionen der Reihe nach in allen Kirchen dreisprachig (rumänisch, ungarisch, deutsch) Gottesdienste feiern, dann bin ich geistlich genauso zu Hause. Das war nicht immer so, das musste gelernt werden. Ignoranz und vielleicht auch ein Stück Verachtung führten dazu, dass ich den Innenraum der orthodoxen Kirche meines Heimatortes zum ersten Mal gesehen habe, nachdem ich von dort längst fort gezogen war. Hier in Deutschland sind wir in dieser Zeit Zeugen einer kontrovers geführten Islamdebatte. Dazu kann ich nicht viel sagen. Worauf ich aber hinweisen möchte ist, dass wir auf dem Gebiete Rumäniens historische Moscheen haben. Die älteste steht in Mangalia an der Schwarzmeerküste: die „Sultan-Esmahan-Mosche“, gebaut im Jahr 1575, drei Jahre nachdem auf der Synode zu Mediasch die Siebenbürger Sachsen die Confessio Augustana als ihr maßgebliches Glaubensbekenntnis annahmen. Schon seit etlichen Jahren findet Ende August das Festival der ethnischen Minderheiten Rumäniens in Schäßburg statt; zu diesem Festival („Pro-Etnica“) kommen auch die Türken und Tataren aus der Dobrudscha; ihre Trachten, Tänze und Speisen gehören selbstverständlich dazu. Vor 400 und mehr Jahren war der Begriff „Türken und Tataren“ ein Schreckenswort; auch wegen ihnen haben die Sachsen Kirchenburgen gebaut. Die Zeiten haben sich geändert. Wenn wir das bisher nicht verinnerlicht haben, sollten wir es vielleicht in Zukunft zu tun versuchen. 


Zapfenstreich mit der Dinkelsbühler Knabenkapelle an der
Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen.
Foto: Hans-Werner Schuster

Ich will bloß so viel sagen: Geistliche Heimat ist mehr als nur die Bindung an ein Kirchengebäude oder das Festhalten an einer dogmatischen Wahrheit, die irgendwann von einem Konzil festgelegt wurde. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als Gott zu finden; Gott in mir selber zu finden und den Menschen neben mir (nicht nur den, der mir nahe steht, sondern auch den, der ferner ist) als ebenbürtiges Geschöpf Gottes zu erkennen, anzuerkennen. Dann kann man die beglückende Erfahrung machen, durch den andern und mit dem andern sich selber besser kennen zu lernen.
B. Der zweite Aspekt der von mir zurecht gelegten Heimat hat etwas mit dem interethnischen und interkulturellen Kontext, in dem ich lebe, zu tun. Meine ethnische Identität ist die siebenbürgisch-sächsische und ich bin glücklich damit. Aber ich bin nicht stolz darauf. Ethnische Zugehörigkeit ist kein Verdienst, sondern eine Gegebenheit. Diese siebenbürgisch-sächsische Identität hat ihre Besonderheiten im Laufe der Jahrhunderte durch Abgrenzung von andern ethnischen Identitäten definiert, so wie andererseits andere ethnische Identitäten sich genauso durch Abgrenzung definiert haben. Auch das ist eine Gegebenheit und grundsätzlich nichts Schlechtes. Problematisch beginnt es dann, zu werden, wenn diese Abgrenzung in Arroganz, Überheblichkeit oder Hass ausartet. Leider hat diese Abgrenzung vor allem in der zweiten Hälfte des 19. und dann im 20. Jahrhundert zu xenophoben Haltungen und zu unermesslichem Leid geführt. Beispiele dafür gibt es genügende: die Magyarisierung im Zuge des österreichisch-ungarischen Ausgleichs, der von den Nationalsozialisten propagierte Hochmut mit seinen menschenverachtenden Auswüchsen der Dreißigerjahre oder der rumänische Nationalkommunismus mit seinen Folgen. Details darüber erspare ich Ihnen an dieser Stelle; sie sind auch hinreichend bekannt.

Mein Freundeskreis besteht aus Menschen, die unterschiedlichsten Ethnien angehören. Sie geben mir das Gefühl (um in der Terminologie des Spiegel-Autors zu bleiben) „mich zu verstehen; mich nicht verstellen zu müssen; mich zu mögen“. Das Gefühl verstanden zu sein, das Gefühl ich selber sein zu dürfen, führt zu einem Austausch, den ich als ungemein bereichernd empfinde. Das setzt natürlich auch voraus, dass ich selber bereit bin, die Sprache und die Kultur des anderen – soweit dies eben möglich ist – mir anzueignen, zu verinnerlichen. Es ist ungeheuer spannend, dies zu tun, denn es hilft einem sich selber in einem andern Licht zu sehen, über sich selbst reflektierend nachzudenken und – wenn es sein muss – eben auch Dinge infrage zu stellen, die man lange als selbstverständlich betrachtet hat. Auch an dieser Stelle möchte ich nicht falsch verstanden werden. Ich bin gerne unter meinen Siebenbürger Sachsen und lege auch großen Wert darauf, mit meinen eigenen Kindern, sächsisch zu reden, und zwar meinen Leschkircher Heimatdialekt. Aber „die Fähigkeit, mich wohlzufühlen, wo ich bin“ habe ich auf jeden Fall auch dann, wenn ich mit meinen rumänischen Freuden ein Glas Wein trinke oder wenn ich ungarische Volktänze sehe. Ja, selbst wenn ich zu Weihnachten bei den evangelischen Zigeunern in Weilau bin und das Lied (es ist so etwas wie ihre Weihnachtshymne) „Uşten, uşten, vai romale“ singen höre und mitsinge, dann „bin ich bei Leuten, die ich mag und die mich mögen, da bin ich daheim“. Das alles hat mein Leben ungemein bereichert und zu meiner Entwicklung als Person beigetragen. Menschen unterschiedlichster Ethnien und Kulturen haben Werte, die auch zu meinen Werten geworden sind. Mein Leben wäre ohne sie viel ärmer und darum möchte ich all diese Erfahrungen nicht missen.

III. Ich hatte meine Rede damit begonnen, indem ich an die eingefallenen Türme aus Radeln und Rothbach erinnert habe. Es gibt natürlich auch die andere Variante. In den vergangenen Jahren habe ich eine Reihe von frisch renovierten Kirchen oder Kirchenburgen einweihen dürfen: z. B. in Kreisch oder in Groß-Alisch. Im vergangenen Jahr wurde in meiner Heimatgemeinde Leschkirch die Kirche renoviert und wieder eingeweiht; sie erstrahlt in einem Glanz, der einer ganzen Reihe von Generationen, nicht zu sehen vergönnt war. Und dies paradoxerweise 25 Jahre nach der großen Auswanderungswelle und zehn Jahre, nachdem die letzte evangelische Seele vor Ort verstorben ist. Auch das hat Symbolwert.
Wir Menschen sind so veranlagt, dass wir uns an Sichtbares, Anfassbares, an Orte klammern. Materielle Dinge sind jedoch zeitlich. Sie sind einem ständigen Werden und Vergehen ausgesetzt. Die menschliche Seele ist aber für die Ewigkeit bestimmt. Dinge von ewigem Wert anzustreben, das sollte erstes Ziel menschlicher Anstrengung sein. Heimat in der Ewigkeit zu suchen – das ist nicht mit einer Sehnsucht nach dem Jenseits zu vergleichen, auch wenn die letzte Station unseres Weges nicht in dieser Welt liegt. Ewige Werte sind Liebe und Treue, Anerkennung und Wertschätzung des Mitmenschen. Und es ist der Glaube an Gott, DER uns alle Zeit nahe ist. Die Bindung an solche immateriellen Werte ist für mich zum Schlüssel geworden, dies Leben zu verstehen und es anzugehen. Das Ganze ist abgedeckt von der Aussage Jesu Christi, die eine universelle Tragweite hat: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?“ (Matthäus 16,26a)

Herzlichen Dank für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit!

Dr. Hans Bruno Fröhlich, Stadtpfarrer, Schäßburg




Es gilt das gesprochene Wort!

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Hermann Baier, 82 Jahre (* 7. Mai 1930    ✝ 16. April 2013)

Trauerpredigt, gehalten in der Bergkirche am Sarg des Verstorbenen am Donnerstag, den 18.04.2013

    Liebe trauernde Familie, Anteil nehmende Gemeinde,
  auch wenn jedem unter uns bewusst ist, dass im Alter von bald 83 Jahren mit dem Tod zu rechnen ist, so kommt es einem doch so vor, als ob man jeden Moment aus einem bösen Traum erwachen und feststellen müsste, dass das alles nicht wahr sein kann. Leider ist dem aber nicht so; traurige Realität ist es, dass wir uns heute von Hermann Baier verabschieden müssen, dessen Herz - nach einer zunächst erfolgreich abgelaufenen Operation, in welcher ein Tumor entfernt wurde, zwei Tage später - am Dienstag, den 16. April d. J. seinen Dienst versagte. 
  Vorgestern, am Dienstag, den 16. April 2013 stand im Herrnhuter Losungsbuch folgender Lehrtext aus dem 2. Timotheusbrief 2,22: „Jage der Gerechtigkeit nach, dem Glauben, der Liebe, dem Frieden mit allen, die den Herrn anrufen aus reinem Herzen.”
Diesen Bibelvers als Deutefolie heranziehend, wollen wir nun Rückschau halten auf ein Leben, welches in jeder Hinsicht ein besonderes Leben und zugleich ein erfülltes Leben war. Zugleich wollen wir aber auch Ausschau halten und unserer Christenhoffnung Raum geben. Wir wollen uns davon trösten lassen, dass wir über Leben und Tod hinweg in und bei Gott geborgen sind und auch unseren heimgegangenen Freund und Bruder nun bei Gott geborgen wissen können.
  Auch wenn der Abschied schwer fällt, so wollen wir ihn so gestalten, wie sich ihn Hermann Baier wahrscheinlich gewünscht oder vorgestellt hat: mit sehr vielen Menschen um sich, mit guter Musik, immer positiv denkend und den Humor nicht verlierend. Und wir sollten vielleicht auch dies im Blick haben und uns damit trösten, dass Gott ihm bis zuletzt gnädig war: Unannehmlichkeiten und vor allem eben Schmerzen - die das weitere Leben infolge einer Krebsoperation mit sich gebracht hätte - sind ihm erspart geblieben.
  Wir erwähnen seine wichtigsten Lebensstationen und versuchen das fest zu halten, was er für Euch als Familie war; was er aber darüber hinaus für die schulische, politische, kulturelle, nachbarschaftliche und nicht zuletzt auch kirchliche Gemeinschaft bedeutet hat, deren exponierter und kompetenter Vertreter er gewesen ist.

Hermann-Andreas Baier wurde am 7. Mai 1930 in Dunesdorf geboren. Sein Vater Johann Baier und seine aus Pruden stammende Mutter Anna geb. Zakel waren Landwirte mit einer für damalige Verhältnisse mittelgroßen Bauernwirtschaft. Er war das dritte von insgesamt fünf Geschwistern. Sein ältester Bruder starb bereits als Kleinkind und der zweite Bruder musste sein Leben in englischer Kriegsgefangenschaft lassen. Die beiden Schwestern wanderten 1990 nach Deutschland aus; die jüngste Schwester lebt nach wie vor dort und kann heute leider nicht hier sein. Nach einer relativ unbeschwerten Kindheit in der Heimatgemeinde Dunesdorf kam Hermann Baier – da er ein ausgezeichneter Schüler war – im Jahr 1940 auf das „Bischof-Teutsch-Gymnasium” nach Schäßburg; die „Bergschule”, mit der er zeitlebens eng verbunden war. Der Zweite Weltkrieg warf seine Schatten auch über sein Leben. Das Schuljahr 1944/45 musste unterbrochen werden und er vorübergehend bei der Eisenbahngesellschaft arbeiten. Die Familie wurde enteignet. Nachdem im Herbst 1945 die Schule wieder beginnen konnte, übernahm sein Vater die Stelle bei der Eisenbahn. Als ob die damaligen Umstände nicht schon schlimm genug gewesen wären, ließ ein einschneidendes Erlebnis Hermann Baier früh erwachsen werden: Sein Vaters wurde am Heiligen Abend des Jahres 1947 von einem Zug erfasst und starb. Seine Mutter fand eine Anstellung bei der LPG. Sie lebte bis 1974.
Hermann Baier schlug die Lehrerlaufbahn ein und wenn er in seinem Leben noch viele andere Dinge getan, entschieden und geliebt hat, so schlug doch beim Unterrichten sein Herz. In seinem selbst verfassten Lebenslauf schreibt er: „Gelernt habe ich nur den Lehrerberuf, das Unterrichten. Ich glaube, ich kann andern das, was ich selbst verstanden habe, gut erklären und beibringen. In allen andern Berufen und Funktionen (Direktor, Schulinspektor, Dirigent) war ich mehr oder weniger Laie. Ich hatte aber immer Glück, dass mir das Richtige eingefallen ist.” 1949 – 1950 war er Lehrer an der Übungsschule des Pädagogischen Seminars. 1950 entschloss er sich zum Studium. Damals studierte man aber nicht, was man wollte (er wäre als Humanist mit Schwerpunkt Latein gerne auf Sprachen weiter gegangen), sondern das, wofür man bestimmt oder gebraucht wurde. In seiner unverkennbaren Art hält er fest: „Ich bin dem damaligen Schulinspektor ewig dankbar, dass er mich zum Mathestudium gezwungen hat.” Nach dem Mathematikstudium in Temeswar kam er zurück nach Schäßburg auf die Pädagogische Schule. 1955 wurde er Direktor der Allgemeinschule Nr. 3 und bereits ab Herbst 1956 wurde er zum Rayonschulinspektor berufen; ein Amt, welches er drei Jahre lang bekleidete. Aus dieser Zeit ist Folgendes aus seinen Erinnerungen festzuhalten: „Mein Chef hatte in mich mehr Vertrauen als in die rumänischen Kollegen und hat mir freie Hand gelassen … Es war mir möglich, unsere Schulen mit Lehrmitteln besser auszustatten, auch konnte ich einige erhalten, die die nötige Kinderzahl nicht hatten (Felsendorf, Pruden).”

In diese Zeit der 50-er Jahre fällt auch die Familiengründung. Bewusst erwähne ich es anschließend an den beruflichen Einstieg: Für ihn kam immer zuerst die Dienstpflicht. Im Jahr 1953 heiratete er Wiltrud geb. Wagner standesamtlich und 1954 dann kirchlich. Sie war ausgebildete Lehrerin, ist aber nach wenigen Jahren im Banat und in Groß-Alisch nach Schäßburg als Kindergärtnerin gekommen, hat in dieser Aufgabe bis zum Ruhestand und danach weiter mit den „Burgspatzen” Erfüllung gefunden und ist vielen Generationen als „Wulletante” bekannt. Das Ehepaar Baier hat drei Töchter Annemarie, Hannelore und Lieselotte.
Ende der 50-er Jahre durchlebte die junge Familie eine besonders schwere Zeit, da die Kinder klein und beide Eltern berufstätig waren. Hermann Baier ließ sich 1959 vom Inspektorenamt entbinden und kam als Lehrer zurück in die Schule. Doch bereits im Jahr 1963 wurde er zum Leiter der Unterrichtsabteilung des Rayonvolksrates ernannt. Diese Funktion war zu jener Zeit natürlich von „politischer Brisanz” und damit an den Eintritt in die kommunistische Partei gebunden. Hermann Baier wurde Mitglied im Exekutivkomitee des Rayonvolksrates, mit folgender Begründung:„Als solches konnte ich Einfluss nehmen auf die Gemeindevolksräte und vieles für die Schulen tun.” Die Umstrukturierung des Schulwesens (auf das 8-Klassen-System) im Jahr 1964 erforderte große Anstrengungen und brachte erhebliche psychische Belastungen für ihn, so dass er einen Nervenzusammenbruch erlitt und in die Klinik von Timişul des Jos (bei Kronstadt) interniert werden musste. Später entdeckten die Ärzte sogar ein Zwölffingerdarmgeschwür, mit welchem er Jahre lang zu kämpfen hatte. Nach dem Aufenthalt im Krankenhaus kam er auf eigenen Wunsch wieder zur alten Liebe – zum Unterrichten – zurück. Im Jahr 1974 wurde er Direktor der Allgemeinschule Nr. 3 und im Jahr 1978 Direktor der Bergschule. Mit einer kurzen Unterbrechung hatte er dies Amt bis 1997 inne, obwohl er bereits 1990 in den Ruhestand eingetreten war. Unterrichtet hat Hermann Baier noch bis ins Schuljahr 2003/2004.
Zu seiner politischen Aktivität ist noch dies zu sagen: Seit 1974 war Hermann Baier Vorsitzender des Kreisrates der Werktätigen deutscher Nationalität und als solcher Mitglied in verschiedenen Ausschüssen, wo die nationale Zusammensetzung es verlangte. Über diese Aufgabe schreibt er in seinem Lebenslauf: „Wir konnten manches für die Sachsen erreichen, da ich leicht zu dem Ersten Sekretär gelangen konnte, und dieser mir besonders gut gesinnt war … Das hat sich besonders auf die Kulturarbeit positiv ausgewirkt. Man sah es gerne und hat uns auch unterstützt, dass sich im Rahmen des Kulturhauses mehrere sächsische Formationen betätigten, die auf den umliegenden Dörfern häufig auftraten und auch bei den Wettbewerben (Cântarea României) immer gute Preise erhielten (Kammerchor, Blasmusik, Kleine Instrumentalformationen, Theater, Tänze usw.)” Er hat selber Waldhorn im symphonischen Orchester der Stadt gespielt (1949 – 1965) und 20 Jahre lang (1982 – 2002) den Kammerchor geleitet.
Ebenfalls ab 1982 war er 18 Jahre lang Nachbarvater. An diese Zeit erinnerte er sich besonders gerne: „Wir haben uns sehr um das Nachbarschaftsleben, besonders das gesellige, gekümmert und wunderbare Unterhaltungs- aber auch Verrechnungsrichttage abgehalten, über die anschließend noch wochenlang geredet wurde.”
Die Wende des Jahres 1990 – Hermann Baier war immerhin schon 60 Jahre alt, aber unermüdlich – brachte ihm „neue Betätigungsfelder”. Auswanderung kam für ihn und seine Familie nicht in Frage. Er ließ sich in das Amt des Bezirkskirchenkurators des Schäßburger Kirchenbezirkes wählen und in demselben Jahr 1990 wurde er ins Landeskonsistorium der Evangelischen Kirche A. B. gewählt, wo er stellvertretender Landeskirchenkurator und Vorsitzender des Rechts- und Finanzausschusses war. Drei Mandate bzw. zwölf Jahre lang (bis 2002) hat er diese Ämter ausgeübt. Ein Mandat lang (1999 – 2003) war er auch Presbyter der Schäßburger Kirchengemeinde.
Er hat sich auch weiterhin ins gesellschaftliche Leben der Stadt eingebracht, so dass man schwer einen Bereich findet, in welchem er nicht aktiv war. Zu nennen ist sein Engagement in den Städtepartnerschaften zwischen Schäßburg und Städten des deutschsprachigen Raumes: Neu-Isenburg/Hessen; Baden/Schweiz oder Dinkelsbühl/Franken; er war der erste Vorsitzende des Freundeskreises Dinkelsbühl-Schäßburg. Ebenso muss an dieser Stelle seine Mitgliedschaft (mit oder ohne Leitungsämter) im Demokratischen Forum der Deutschen, im Rotary-Club, im Verein Restauro-Messerschmitt oder in der Hermann-Niermann-Stiftung erwähnt werden (ich bitte um Nachsicht, sollte ich etwas ausgelassen haben). Und nicht zuletzt erinnere ich an seine Stadtführungen, die man immer in Anspruch nehmen konnte, wenn man in- oder ausländische Gäste kompetent und humorvoll durch die Stadt geführt haben wollte. 
Die Stadt Schäßburg, mit der er seit seiner Kindheit verbunden war, hat ihn geprägt. Aber das Gleiche gilt auch umgekehrt: Hermann Baier hat wie kaum ein anderer die Stadt Schäßburg in den letzten füf Jahrzehnten geprägt. Darum ist er zu Recht im Jahr 1997 zum Ehrenbürger ernannt worden.
Schließlich findet die Familie doch noch Erwähnung. Hermann Baier war ein liebender Vater, hatte aber wegen seiner vielen Ämter und Dienste wenig Zeit für seine eigenen Kinder. Das hat er an seinen fünf Enkelkindern wiedergutzumachen versucht: an Jutta, Herbert und Holger (die Kinder von Annemarie) sowie an Yvonne und Nadine (die Kinder von Lieselotte). Wenn er seine Enkelkinder einige Tage nicht zu Gesicht bekam, hatte er Sehnsucht nach ihnen. Aus dem viel beschäftigten und strengen Lehrer war ein nachsichtiger Großvater geworden, der Frau und Töchter mitunter erstaunte, wenn er den Enkeln Dinge versprach, die schwer oder gar nicht einzuhalten waren (ein pädagogisch hinterfragbares Unternehmen). Er tat es, wie so vieles andere: mit ernstem Gesicht und einem Augenzwinkern.
Ganz am Ende erlaube ich mir auch persönlich zu werden: Die Tatsache, dass ich selber vor 16 Jahren nach Schäßburg als Pfarrer entsandt wurde, hat er als Mitglied des Landeskonsistoriums und als damaliger Vertreter von Schäßburg in der Kirchenleitung mitverantwortet. Ebenso, dass meine Frau ohne Komplikationen von Kronstadt nach Schäßburg als Lehrerin wechseln konnte.
Nun rufen wir uns nochmals den eingangs vorgelesenen Bibeltext in Erinnerung: „Jage der Gerechtigkeit nach, dem Glauben, der Liebe, dem Frieden” Das hat Hermann Baier getan. Darum wollen wir nun „mit allen, die den Herrn anrufen aus reinem Herzen” den allmächtigen Gott bitten, er möge seiner Seele gnädig sein und ihn im Frieden aufnehmen. 

Amen. 



Es gilt das gesprochene Wort!

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Reformationstag – 31. Oktober 2008

Predigt zu Philipper 2,12 – 13
12. Also, meine Lieben, – wie ihr allezeit gehorsam gewesen seid, nicht allein in meiner Gegenwart, sondern jetzt noch viel mehr in meiner Abwesenheit, – schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern.
13. Denn Gott ist's, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.

Liebe Gemeinde!
I. Einer der Hauptgründe, welche Martin Luther dazu veranlasste am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg anzubringen, war der Ablass. Der Ablass stand in engem Zusammenhang mit der Heiligenverehrung und vor allem mit dem Reliquienkult. Abgesehen davon, dass der Ablass, bzw. der Reliquienkult für die damalige Katholische Kirche ein lohnendes Geschäft war, muss man ihn in dem Licht sehen, wie wir es uns heute (nach Aufklärung und Rationalismus) so gar nicht mehr vorstellen können: die Menschen des Mittelalters hatten Angst davor, was nach ihrem Tod kommen würde, nämlich das Gericht und das Fegefeuer und die Strafen der Hölle. Diese Angst wurde von der Kirche geschürt; vor allem wurde die Unwissenheit und der Aberglaube der Menschen ausgenützt [Wer den LUTHER – Film gesehen hat, erinnert sich, an die Szene in welcher der Ablassprediger Tetzel mit theatralischen Gesten das Fegefeuer in Szene setzt und so den Menschen richtiggehend Angst einjagt]. Es ist für uns heute doch erstaunlich, wie sich die Menschen damals das Problem stellten; natürlich aufgrund der damals gängigen kirchlichen Lehre: die Kirche verwaltet einen Schatz von guten Werken und wenn ich davon etwas abbekomme, dann komme ich mit Gott zurecht und Gott kommt mit mir zurecht. Für viele spielte es gar keine Rolle wie man an die Reliquie heran kam: es wurden auch Reliquien gestohlen, es wurden Reliquien „erfunden”. Unser Bibelwort hat – indem es missverstanden wurde – auch dazu beigetragen, um kirchliches Handeln in diesem Bereich zu legitimieren: „Schaffet dass ihr selig werdet mit Furcht und Zittern.” Aus dem Kontext heraus gelöst, kann diese Aufforderung wirklich missverstanden werden. Um so mehr ist es eine Herausforderung, uns mit diesem Text auseinanderzusetzen, welche die Perikopenordnung unserer Evangelischen Kirche als Predigtwort für den Reformationstag 2008 vorsieht.
II. Unserm Bibelwort voraus geht der bekannte Christushymnus (Phil. 2,5–11), wo gerade das «neue menschliche Sein in Christus» thematisiert wird. Dass wir durch Christus in ein neues Sein hinein genommen worden sind („Seid so unter euch gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Christus entspricht” – Phil 2,5), darauf haben die Reformatoren mit Nachdruck hingewiesen. Selbstverständlich haben die Reformatoren und wir heute nicht vergessen, dass wir sündige Menschen sind. 
(1) "Furcht und Zittern" meint in diesem Fall, dass wir nicht überheblich werden dürfen, indem wir meinen, dass wir – durch Christus – schon abgehoben wären und die tägliche Vergebung der Sünden nicht mehr nötig hätten. Auch anhand dieses Bibelwortes hat Martin Luther seine Lehre vom Christen als „simul justus et peccator” (zugleich Sünder und Gerechtfertigter) entwickelt. 
(2) Es gibt aber noch ein zweites, woran wir – als Christen reformatorischer Prägung – uns an diesem Bibelwort reiben: es ist die Formulierung „Schaffet, dass ihr selig werdet.” Hat der Apostel Paulus das hier so gemeint, dass der Mensch imstande ist, an seinem Heil mitzuwirken (wie es ja die Kirche des Mittelalters lehrte)? Auch hier könnte man es aus dem Kontext heraus gelöst so verstehen. Der große reformierte Theologe Karl Barth, weist darauf hin, dass diese Formulierung („schaffet, dass ihr selig werdet”) die Geister scheidet: für die katholische Dogmatik ist es ein „dictum probans”, also „Wasser auf die Mühle” für eine dahingehende Interpretation, dass der Mensch an seinem Heil konkret mitwirkt. Für die protestantische Dogmatik kann es zur „crux” werden; d. h. etwas was man hat und doch immer wieder drum kämpfen muss. Fakt ist aber dies: Der Mensch ist dazu aufgefordert – gerade weil Gott seine Erlösung geschaffen hat – nun seinerseits aktiv zu werden (und nicht umgekehrt, dass Gott auf das Tun des Menschen reagieren würde). Was für den alten Adam Gebot (Imperativ!) war, dass ist für den neuen Adam selbstverständlich (Indikativ!). Möglicherweise hat Paulus geahnt, dass Jahrhunderte später, über die Interpretation seiner Aussagen ein Streit entstehen würde. 
(3) Und darum hat er den andern Satz noch hinzugefügt, und der wiederum ist Balsam für das Herz des Protestanten: „Gott ist's, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.” Gott hat das Wesentliche, das Entscheidende für unser Seelenheil schon längst getan. Wir können es immer wieder nur als ein Wunder betrachten, dass Gott es so hat geschehen lassen. Wir können dem was Gott getan hat nichts hinzufügen. 
(4) Einen Blick werfen wir noch auf die Anrede, die Paulus verwendet: „Also, meine Lieben!“ Die Anrede des Apostels entspricht der Anrede Gottes an den Menschen. Der Mensch wird angeredet, als der, der er sein soll, aber in Gottes Augen schon ist: Gottes geliebtes Geschöpf. Dass in der nachfolgenden Rede dann auch ermahnende Worte folgen, ist kein Widerspruch zu der Anrede. Es ist so, wie wenn Eltern mit ihren Kindern reden: unabhängig was man den Kindern sagt, und selbst dann wenn man traurig oder wütend über ihr Handeln oder ihre Entscheidungen ist, so sind es immer die geliebten Kinder. Die Spannung zwischen liebevoller Anrede und ermahnendem Inhalt ist genuin christliche Rede. Der Apostel Paulus, der die christliche Gemeinde in Philippi gut kennt (es scheint eine seiner „Lieblingsgemeinden“ gewesen zu sein) weiß genau, wie schwer sich Menschen tun, wenn sie gehorchen sollen; und wiederum werden wir an unsere Kinder erinnert.
III. Unser kurzer Predigttext fasst das Entscheidende christlichen Glaubens zusammen: Gott wirkt in jedem von uns. Auf ihn ist Verlass. Er ist langmütig und von großer Güte. Sein Wohlgefallen ist es, unser Wollen zu bestimmen und uns bei unserem Tun nicht allein zu lassen. Bis hin zum Vollbringen, bis hin zur Vollendung bleibt er bei uns. Diese Botschaft wurde damals – als die Kirche eine richtige Machtinstitution war, die in Politik und Wirtschaft ein gewichtiges Wort zu sagen hatte – nicht gern gehört. Die Bedeutung der Institution Kirche (auch der katholischen) wurde durch die Reformation radikal gewandelt: von einer herrschenden zu einer dienenden. Die Kirche soll nicht Angst schüren und Menschen beherrschen, sondern sie soll dem Menschen vermitteln, dass Gott ihn liebt und nur das Beste für ihn will. „Also meine Lieben“ – dies ist unser Auftrag!

Amen.

Hans Bruno Fröhlich, Stadtpfarrer



Es gilt das gesprochene Wort!

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Bischofseinführung am 3. Adventsonntag (12. Dezember 2010)


Am 27. November 2010 hatte die Landeskirchenversammlung der Evangelischen Kirche A. B. in Hermannstadt Reinhard Guib zum Bischof gewählt. Nachdem kein Einspruch gegen die Wahl erhoben wurde, ist diese nach zwei Wochen rechtskräftig geworden.
Am 3. Adventsonntag, den 12. Dezember um 9 Uhr wurden im Festsaal des Bischofshauses in Hermannstadt die neu gewählten Mitglieder des Landeskonsistoriums - einschließlich der neu gewählte Bischofsvikar Dr. Daniel Zikeli - vom Bischof in ihr Amt eingeführt. Das war nötig, da gemäß unserer Agende der Bischofsvikar die Einführungshandlung des Bischofs in der Kirche leitet. Eine Stunde später (10 Uhr) fand dann in der vollbesetzten Hermannstädter Stadtpfarrkirche die Einführung des Bischofs in Anwesenheit von Altbischof D. Dr. Christoph Klein statt. Gemeindeglieder aus dem ganzen Land waren angereist. In den meisten Gemeinden wurde kein Gottesdienst angeboten, da die Pfarrer selber bei der Einführung des Bischofs zugegen waren.
Es ist üblich, dass zu einer solchen Festlichkeit Bischöfe aus den Schwester- bzw. Partnerkirchen mitwirken und dem neuen Bischof durch ihre Handauflegung den Segen geben. Aus den protestantischen Schwesterkirchen Siebenbürgens assistierten Bischof Adorjáni Dezső Zoltán (Evangelisch-Lutherische Kirche in Rumänien, ungarischsprachig mit Sitz in Klausenburg) und Bischofsvikar Kata Béla (Reformierte Kirche in Rumänien, ungarischsprachig mit Sitz in Klausenburg). Aus Österreich (Wien) angereist war der Bischof der Evangelischen Kirche A. und H. B. Dr. Michael Bünker und aus Deutschland waren drei Bischöfe zugegen: Dr. Martin Hein (Bischof von Kurhessen-Waldeck im Auftrag der EKD); Dr. Karl Hinrich Manzke (Landesbischof von Schaumburg-Lippe im Auftrag der VELKD) und Dr. Hans Mikosch (Regionalbischof der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands).
Aus der Ökumene nahmen teil: Dr. Laurențiu Streza (Mitropolit Siebenbürgens und Erzbischof von Hermannstadt/Sibiu/Nagyszeben - orthodoxe Kirche) Dr. Jakubiny György (römisch-katholischer Erzbischof aus Karlsburg/Alba Iulia/Gyulafehérvár); Vasile Bizău (Bischof der griechisch-katholischen Kirche aus Blasendorf/Blaj/Balázsfalva) sowie Bálint-Benczedi Ferencz (unitarischer Bischof aus Klausenburg/Cluj/Kolozsvár).
Weiterhin nahmen wichtige Vertreter der staatlichen Stellen (Stadt- und Kreisrat Hermannstadt; Staatssekretariat für Kultur aus Bukarest; Vertreter der Siebenbürger Sachsen aus Deutschland).
Den vielen Glück- und Segenswünschen, welche beim anschließenden Mittagessen im Hotel "Römischer Kaiser" in den Grußworten ausgesprochen wurden, kann man sich nur anschließen und dem neuen Bischof viel Weisheit in seinem nicht leicht zu führenden Amt wünschen.



Es gilt das gesprochene Wort!

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Ostersonntag – 23. März 2008

Predigt zu 1. Korinther 15,19-28

19. Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen.
20. Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind.
21. Denn da durch einen Menschen der Tod gekommen ist, so kommt auch durch einen Menschen die Auferstehung der Toten.
22. Denn wie sie in Adam alle sterben, so werden sie in Christus alle lebendig gemacht werden.
23. Ein jeder aber in seiner Ordnung: als Erstling Christus; danach, wenn er kommen wird, die, die Christus angehören; 
24. danach das Ende, wenn er das Reich Gott, dem Vater, übergeben wird, nachdem er alle Herrschaft und alle Macht und Gewalt vernichtet hat.
25. Denn er muss herrschen, bis Gott ihm »alle Feinde unter seine Füße legt« (Psalm 110,1).
26. Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod.
27. Denn »alles hat er unter seine Füße getan« (Psalm 8,7). Wenn es aber heißt, alles sei ihm unterworfen, so ist offenbar, dass der ausgenommen ist, der ihm alles unterworfen hat.
28. Wenn aber alles ihm untertan sein wird, dann wird auch der Sohn selbst untertan sein dem, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott sei alles in allem.


Liebe Gemeinde!
1. Heute haben wir allen Grund zur Freude, weil mit der Auferstehung des Gekreuzigten die Entscheidung auch über unser Leben gefallen ist. Der Apostel Paulus sieht die Auferstehung Jesu Christi, und die Zusage von Gottes endgültiger Herrschaft zusammen. Der Tod ist seiner Meinung nach, der letzte und eigentliche Feind Gottes und des Menschen mit der Auferstehung ist DIESER endgültig überwunden. Daher ist die Auferstehung der grundlegende Sieg des Lebens über den Tod. Den endgültigen Triumph wird die Wiederkunft des Auferstandenen und zum Vater erhöhten Christus bringen.
Bei der Wiederkunft Christi, werden auch jene, die zu Christus gehören, also die Glieder der Kirche, der Macht des Todes entrissen werden. Die Zeit der Kirche, so muss man schlußfolgern, ist die Zeit zwischen den beiden Auferstehungen: jener Jesu Christi, die bereits erfolgt ist und die der andern Menschen, die noch erfolgen soll. Es ist diese Zeit in der wir leben: eine Zeit des Hoffens und Wartens auf Gottes Reich. Die Hoffnung ist das Fundament des Glaubens. Was wir jetzt schauen sind nur Vorboten; sind die Anzeichen des zukünftigen Geschehens. Karl Barth sagte: „Da sieht man das Licht, aber die Sonne sieht man nicht."
2. Doch selbst wenn wir diese große Hoffnung haben dürfen und sollen, so macht uns der Tod trotzdem Angst. Das Sterbenmüssen verunsichert uns. Wir haben es ja nie selbst erlebt, daß jemand aus dem Tod zurückgekommen wäre. Daß unsere Welt unter dem Gesetz des Todes steht, hat der Mensch selber zu verantworten. Durch Adam kam der Tod in die Welt. Der Apostel Paulus weiß um die Verstrickung des Menschen in Sünde und Tod. Und er zeichnet dagegen das Bild eines Lebens in Freiheit von Sünde und Sterbenmüssen, wie es dem Menschen zugedacht war; jenem Menschen, den Gott nach Seinem Bilde geschaffen hatte. Das ist eine andere Wirklichkeit, das ist eine neue Welt. Dies Neue hängt an einer Person, an Jesus Christus. Mit Ihm beginnt die Auferstehung der Toten. [Adam ist das „Gegenüber”, das „Gegenteil” von Jesus Christus]. Deshalb schreibt der Apostel den Korinthern: „wenn sie von Christus nur etwas in diesem Leben erwarteten, dann wären sie ganz elend dran, dann würde ihr Glaube sinnlos sein". Sicherlich sollen Christen nicht nur an das "Jenseits" denken. Gott hat ihnen Aufgaben in dieser Welt gegeben. Aber unsere Verantwortung in dieser von Sünde und Tod dominierten Welt können wir eben nur wahrnehmen, weil wir wissen, daß über diese Welt von außen entschieden wird, ja längst entschieden worden ist. Diese Entscheidung ist mit Ostern, mit der Auferstehung gefallen. Eine neue Zeit hat begonnen. Der Sieg Christi hat endgültigen Charakter. Für den Apostel Paulus hängt dieser Sieg unteilbar mit der verheißenen Wiederkunft Christi und unserer Vollendung in der Gemeinschaft mit diesem unserem Herrn zusammen. Der Apostel will deutlich machen: Unser Leben hat nur dann einen Sinn, wenn diese letzte und große Dissonanz, die der Tod in die Welt bringt, aufgelöst wird. Wäre der Glaube nur  Hoffnung für dieses Leben, so wäre er nichts anders als „Opium für das Volk”, Beruhigung, Illusion, Täuschung für eine kurze Zeit. Wir blieben mit unseren Enttäuschungen zurück, als die "Elendsten unter den Menschen".
3. Die Evangelien und der Apostel Paulus lassen erkennen, daß es die Wirklichkeit der Begegnung mit dem Auferstandenen selbst war, die aus Zweifelnden Glaubende machte. Die Frauen, die zum Grab gingen und die Jünger, welche die Nachricht erfuhren, waren zunächst skeptisch; die Begegnung mit Jesus überwältigte sie. Aber eben weil es die Realitäten unserer Welt sprengt, weil es einfach nicht ins menschliche Denkschema paßte und paßt, von der Auferstehung eines Toten zum ewigen Leben zu sprechen, ja diese Auferstehung zu verkünden; deshalb ist die Osterbotschaft zugleich Botschaft von etwas ganz neuem: von der neuen Welt Gottes schon jetzt existierend aber dereinst in voller Herrlichkeit sichtbar. Es ist eine Wahrheit, die nur glaubend erkannt werden kann: und die doch unser ganzes Leben (mit seinen praktischen Aspekten) entscheidend prägt. Durch die Osterbotschaft erhalten wir Wegweisung für unser Leben heute. Die Zeit der Kirche ist nicht müßige Zeit. Wir sind eingeladen, das zu begreifen, wozu der Apostel Paulus seiner Gemeinde in Korinth helfen möchte. Wir dürfen das Ziel nicht aus den Augen verlieren. Entscheidend ist, daß wir auf diese zukünftigen Dinge schon jetzt hoffen. Um diese unsere Hoffnung hier und heute über das Leben hinaus auf die Zukunft, die durch die Auferstehung Christi uns allen eröffnet wird, geht es in unserem Ostertext. Nur durch diese Auferweckung erst, erhält unser Glaube Bestand und ist sinnvoll: jetzt aber auch dereinst in Ewigkeit. So wie es den Frauen und den Jünger widerfuhr, so müssen auch wir von dieser froh machenden Botschaft überwältigt werden. 
4. Am Kreuz hat der unsichtbare Gott der Welt ein sichtbares Zeichen gegeben: die Sünde wurde ein für alle Mal entmachtet. Durch die Auferstehung geschah das Einzigartige und Außergewöhnliche: Gottes neue Welt brach in unsere Todeswelt herein. Leben kommt dorthin, wo vorher Tod war. Von dieser Erfüllung leben wir bis auf den heutigen Tag. Dass Gott gnädig und barmherzig ist, findet seinen Höhepunkt in der Preisgabe seines Sohnes, der uns von Angst, Trauer und Resignation befreit. Gottes neue Welt ist in unsere Welt eingebrochen und will unser Leben von Grund auf verändern und erneuern. „Gott schenkt Leben aus dem Tod“. Wie man das verstehen soll? Philipp Melanchton – der Verfasser des Augsburger Bekenntnisses und ein guter Freund Martin Luthers – schreibt: „Die Geheimnisse Gottes sollten wir lieber anbeten, als sie zu erforschen.“ Das Ostergeheimnis kann nur im Glauben angenommen werden. Und die Antwort darauf kann nur Lob und Dank sein. Nicht darum weil Gott diese Bestätigung unsererseits brauchen würde. Wir Menschen haben es nötig Gott in seiner Gottheit zu erkennen und das wiederum geschieht gerade durch den Glauben an die Auferstehung Jesu Christi. Daher ergeht heute die Anforderung an uns alle, das große Geheimnis der Auferstehung anbetend, dankend und lobend im Glauben an den allmächtigen Gott anzunehmen. Lasst Euch von der Freude über die Auferstehung und den Sieg des Lebens über den Tod anstecken und sagt das weiter was Ihr gehört habt. Gott hat uns vom ewigen Tod gerettet.

Der Herr ist auferstanden! / Hristos a  înviat! / Krisztus feltámadott! / Amen.

Hans Bruno Fröhlich, Stadtpfarrer



Es gilt das gesprochene Wort!

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Predigt Altjahrsabend 31. Dezember 2004

„Jedoch meine Rettung - so spricht der Herr - bleibt ewiglich, und meine Gerechtigkeit wird nicht zerbrechen” (Jes. 51,6-b)

Viele Bibelworte könnten als Predigtwort dienen
– die übliche Predigtreihe, Tagespsalm 121 und Marginallesung und
– warum nicht, noch die Jahreslosung 2004.
Doch meine Sorge um die Predigt wurde dadurch nicht kleiner - und die Not in der Welt schon sowieso nicht!
So möchte ich vor der eigentlichen Predigt - der Information Raum geben, der Betroffenheit und der Anteilnahme. Sicher kann ich das ganze Ausmaß der Flut nicht genau umreißen, doch ich meine, wir dürfen die Augen auch nicht davor verschließen.
Und danach erst, diese Not der Welt - speziell genommen - das Seebeben, in Verbindung mit unserer Alltag und Altjahrsabend bringen; die Predigtstellen lesen und uns zwei „Krücken” an die Hand geben.

In Stichworten:
Am schwersten betroffen von der Naturkatastrophe sind Indonesien, Sri Lanka, Indien und Thailand. Schwere Schäden wurden auch aus Malaysia, Bangladesch, Myanmar und von den Malediven gemeldet. Die tödliche Flutwelle hinterließ von Indonesien bis zur Ostküste Afrikas eine Spur der Verwüstung.
30.12.2004 20:43  Annan spricht von 115 000 Tote in Südasien (z.Z. 125.000?)
30.12.2004 19:01  5100 deutsche Touristen sind wieder zu Hause 
Nothelfer-Teams der UNO, Das Internationale Rote Kreuz
Inzwischen fast 80 000 Fluttote allein in Indonesien 
5 Millionen Obdachlose im Katastrophengebiet
Internationale Hilfslieferungen geraten ins Stocken
Keine überlebenschance für Vermisste in Thailand
1.500 aus Schweden, bis zu 800 aus Norwegen und 700 Italiener. Auch ander Länder beklagen Tote
Spenden und Unterstützung. Nun geht es darum, nicht tatenlos zusehen, sondern zu unterstützen mit: Fürbitte für die Trauernden der Angehörigen des Seebebens.
Fürbitte für alle Helfer ob im medizinischen oder administrativen Teil Fürdank für alle die Beten und Helfen, und die Bitte darum, dass Gott sie in diesem Dienst stärke.
Predigtreihe: Jesaja 30, 15-17; 
Tagespsalm 121, 1-8; 
Marginallesung: Jesaja 51, 4-6; 
Losung 2004: Markus 13,31

Einen Vers hebe ich besonders heraus:
„Jedoch meine Rettung - so spricht der Herr - bleibt ewiglich, und meine Gerechtigkeit wird nicht zerbrechen” (Jes. 51,6b)
Dieser Vers bedeutet für mich - für uns – heute: - es müsste uns in den Kopf gehen, dass trotz allem war dies Jahr gebracht oder nicht gebracht hat, dass Gottes Rettung ewig ist - und seine Gerechtigkeit nicht zerbricht.

Und dabei dürfen wir zuerst auf ihn, auf Gott, sehen. Und dann auch unser Leben vor ihm. Ja und dann können wir uns an der Frage der Gerechtigkeit die Zähne ausbeißen - oder auch nicht - denn seine Gerechtigkeit zerbricht nicht. Und wir dürfen ihm für die so vielfache Bewahrung und Hilfe danken. - Diese Aufgabe bleibt uns! Ganz gleich ob Himmel und Erde vergehen oder nicht. 
Denn Gottes Wort sagt: Saget Gott Dank allezeit. (Neues Testament)
Deshalb blicken wir nun auf das Jahr 2004 zurück:
Auf das Gute schauen wir meist gern. Das hat uns froh gestimmt, unser Herz leicht und frei gemacht. Tage waren das, an denen wir gern lebten und glücklich waren. - Haben wir dafür gedankt? Haben wir unsere Freude mit anderen geteilt? Doch es gibt auch die schlimmen, belastenden Erlebnisse des vergangenen Jahres. - Deutlicher und klarer als uns lieb ist - und schrecklicher als wir es dachten und sicherlich nicht das, was wir mit der Jahreslosung des vergangenen Jahrs erhofften. „Jesus Christus spricht: Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.”
Auf das Schwere des Jahrs zu blicken fällt uns nicht leicht. Wo es uns schlecht ging, wo wir nicht wussten, wie es weitergehen sollte, und unser Glaube ins Wanken geriet. Die Minuten der Angst, die Stunden der Schwermut, die Augenblicke des ärgers, des Zorns, der Wut ... Tod und Trennung, Verlust von Arbeit, Liebe und Partnerschaft, Gefühle von Sinnlosigkeit und Verlorenheit machen sich breit bei vielen Menschen, gerade am Ende der Festtage. Und dahinein klingen die Wort des Propheten: (Jes.30,15) Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein. - wenn das denn so leicht wäre …

Doch:
Heute können wir den ersten Schritt in eine Zukunft tun, in dem wir in Dank und Bitte des täglichen Gebets leben. Das alte Jahr geht zu Ende – ein Jahr, voll mit Erlebnissen, negativen und positiven, voll von Streit und Versöhnung, von Hass, Neid, Liebe, Freude. Ein bewegtes Jahr. Wenn ich mir die Nachrichten im Fernsehen oder in den Zeitungen anschaue, dann ist es für mich erschreckend, dass das alte Jahr durch das Wort Jesu begleitet wurde: Himmel und Erde werden vergehen. - haben wir dabei tatsächlich an das Ende gedacht?! Doch wenn ich auch die Welt betrachte - die ich liebe – Sonnenaufgänge, die den Himmel voll malen mit strahlenden Farben, Pflanzen und Tiere, jedes ein Einzelstück und wunderbar geschaffen, wenn ich mir die Menschen um mich betrachte, mit ihren Sorgen und Problemen, mit ihren Freuden und Hoffnungen – ergreift mich eine sonderbare Dankbarkeit. Deshalb möchte ich uns nun zwei Krücken "an die Hand“ geben:
Es ist nicht immer ein leichter Weg - doch es ist ein Weg der uns daran erinnert, dass wir uns nichts selbst verdanken; und dass wir nicht ein Recht dazu haben Gottes Gerechtigkeit ergründen zu wollen.
1. Krücke:
L wie links, wie die Liebe Gottes, wie Linke Krücke
Dankbarkeit ist eine Antwort auf Gottes Liebe; das ist, dass ich anerkenne, dass es einem gut geht - und nicht, dass es einem besser geht!
Bei Tiki Küstermacher las ich, dass wir erst für 14 Dinge danken müssten, bevor wir dankbar werden und die Liebe Gottes in unserem leben sehen … (ich habe es ausprobiert)
1. Dez:
- das Guten-Morgen in der Früh
- der starke Kaffee in der Tasse
- das Stück Kuchen am Teller
- die Maleachi-Andacht im Internet 
- die Nachricht in der Mail
5 
- das Gespräch am Telefon
- das hilfreiche Wort im Büro
- die Kartoffeltokana im Topf
- die Jahreslosung 2005 (Jesus spricht: Ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhöre Lukas 22,32)
- die Jona-Ballade in der Bibelstunde
10
- der Tee in vier Tassen
- die Jugendstunde-Fotos in den Händen
- die Sendung im TV
- die Zeit vor Mitternacht
14
GESCHAFFT - ja, 14 Dinge, Menschen, Begebenheiten, 
(... und nun fallen mir noch mehr ein ...) 

14 von den vielen Dingen die gelungen, die froh gemacht, die ein Grund zum Danken sind. Und ein Lied das mir wieder einfällt:
„Herr - werde ich dir etwas bringen, etwas von den vielen Dingen, die Du mir anvertraut hast Jahr für Jahr? Seh, ich dann auf meine Hände lass ich alles vor deinem Throne los. Denn, nur dann, Herr, wenn Du füllst meine Hände hat ein Tag und ein Leben sich gelohnt.” (Lieddichter unbekannt)
Und Gott , füllt diese Hände - das weiß ich und wir dürfen es auch immer wieder fühlen. 
Gott macht es - Gott macht, dass sich unser Tag und unser Leben sich lohnt, in dem ER uns, unsere tagelang, täglich, "viele-14" Dinge gibt. Bleibt noch die Bitte - Hilf dass wir dies Gute, die Liebe sehen und ihm dafür danken.
2. Krücke:
R wie rechts, wie die Recht - Ge-rechtig-keit Gottes, wie rechte Krücke. Dankbare Wachsamkeit ist eine Antwort auf Gottes Gerechtigkeit.
Es ist uns oft so vieles selbstverständlich: unsere Wohnung, das Essen, Tag und Nacht, der morgige Tag, und das Wiedersehen; doch so selbstverständlich ist das nicht. im Jakobusbrief (Kapitel 4) steht schon: „so Gott will und wir leben” werden wir dies oder jenes tun können.
... es ist zumindest sonderbar, wenn man erkennt, dass das vermeintlich Selbstverständliche bei weitem nicht selbstverständlich ist ... und es ist trotz allem /oder gerade deshalb?/ ein Grund Gott zu danken: ein Grund zu glauben, zu hoffen und zu lieben - zu beten und zu helfen.

Mehr noch:
Es ist nicht sonderbar, sondern es ist Geschenk. Folgende Geschichte aus der Sendung Morgenlob (30.Dez) kann das deutlich machen:
Schüler: Meister, was kann ich tun, um die Welt zu retten?
Meister: Soviel wie du tun kannst, damit die Sonne morgens aufgeht.
Schüler: Aber bitte, was nützen dann mein ganzes Beten und Fasten?
Meister: Sie helfen dir, wach zu sein, wenn die Sonne aufgeht.

Und die Feststellung, dass nichts - ja, dass gar nichts - selbstverständlich ist im Leben, ist ebenso wie Wachsein, wenn die Sonne aufgeht, denn mit diesem Bewusstsein leben wir anders - bzw. mit dem Bewusstsein das nichts selbstverständlich ist, wird sich unser Leben verändern.

Möge Gott uns helfen, wach zu sein.
Möge Gott uns helfen, dass unser Wachen ein Grund ist ihm zu danken: ein Grund zu glauben, zu hoffen und zu lieben - zu beten und zu helfen. Und ich merke - ich darf mein Anliegen - euch ans Herz legen. Denn auch Gottes Liebe und Gerechtigkeit - auch mitten in allem Leid - sind nichts selbstverständlich: 
„So spricht der Herr meine Rettung (meine Liebe) bleibt ewiglich, und meine Gerechtigkeit wird nicht zerbrechen” (Jes. 51,6-b)
So lasst uns die Krücken der Liebe Gottes und unserer Dankbarkeit und die Krücke der Gerechtigkeit Gottes und unserer dankbaren Wachsamkeit, ergreifen und so gut wir vermögen, Gott für seine Liebe und Gerechtigkeit, danken.
Amen.
Möge Gott uns helfen, wach zu sein.
Möge Gott uns helfen, dass unser Wachen ein Grund ist ihm zu danken: ein Grund zu glauben, zu hoffen und zu lieben - zu beten und zu helfen.
Und ich merke - ich darf mein Anliegen - euch ans Herz legen.
Denn auch Gottes Liebe und Gerechtigkeit - auch mitten in allem Leid - sind nichts selbstverständlich: 
„So spricht der Herr meine Rettung (meine Liebe) bleibt ewiglich, und meine Gerechtigkeit wird nicht zerbrechen” (Jes. 51,6b)
So lasst uns die Krücken der Liebe Gottes und unserer Dankbarkeit und die Krücke der Gerechtigkeit Gottes und unserer dankbaren Wachsamkeit, ergreifen und so gut wir vermögen, Gott für seine Liebe und Gerechtigkeit, danken.
Amen.

(Für die Mitteilungen im Schäßburger Gemeinde, vor dem Hauptgebet: So lasst uns Dank, Gebet und Hilfe nicht vergessen:
Fürbitte für die Trauernden der Angehörigen des Seebebens. Fürbitte für alle Helfer ob im medizinischen oder administrativen Teil, Fürdank für alle die Beten und Helfen, und die Bitte darum, dass Gott sie und uns in diesem Dienst stärke.
Hilfe konkret:
Da ich in der Predigt von Krücken sprach, könnten wir bildlich gesprochen, eine Krücke für die Betroffenen und leidtragenden der Flut Spenden.
Eine Krücke kostet in Rumänien zwischen 400.000 und 800.000 Lei, in Deutschland. 15 - 30 Euro (= 600.000 bis 1.200.000 Lei)
So ist meine Bitte -… für die angehende Spendenaktion als Zeichen der Verbundenheit: dazu beizutragen, ob 1% oder 10 % oder 1.000 Lei oder 4% (etwa eures Tageseinkommen) – genaue Kollektentag und Spendenmöglichkeit im Pfarramt werden bekannt gegeben.
Gott segne Geber, Gebet, und Gabe.)

Predigt anlässlich des Altjahrsabend und der Flutkatastrophe im südasiatischen Raum
Pfarrerin Helga Rudolf

(heute: Pastorin Helga-Ingrid Kretschmer, Wismar, Deutschland)






Es gilt das gesprochene Wort!

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10 Jahre Altenpflege 2004

Evangelische Diakonie


Mit einem Gottesdienst in der Klosterkirche begann das Jubliäum


Festpredigt 10 Jahre Altenpflege der Evangelischen Diakonie

13. Sonntag nach Trinitatis – 5. September 2004: Predigt zu 1. Johannes 4,7 - 12

7. Ihr Lieben, lasst uns einander lieb haben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott.
8. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe. 
9. Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. 
10. Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden.
11. Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben. 
12. Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen.


Liebe Gemeinde!
1) Am 5. September 1994 - heute vor genau 10 Jahren - wurde die erste Bewohnerin im Pflegenest aufgenommen. Heute, 10 Jahre danach, blicken wir dankbar darauf zurück, dass dieses kleine (aber feine) Altenheim damals, mit viel Engagement, aber auch mit genau so viel Fachwissen zustande kam und mit der Zeit sogar weiter ausgebaut werden konnte. Sicherlich ist das, was vor 10 Jahren begann, was sich im Laufe der Zeit entwickelte und was wir heute vor unseren Augen haben, das Ergebnis menschlicher Anstrengungen und materieller Zuwendung. Aber außer dieser sichtbaren Komponente gibt es noch eine andere, eine unsichtbare, die aber genau so real existiert, wie die erste (die materielle). Man kann sie auch als die theologische Komponente bezeichnen. Es ist die - von diakonischem Engagement getragene Motivation - welche Menschen dazu brachte, sich hier aktiv zu beteiligen. Hier hat gelebter christlicher Glaube seinen materiellen Niederschlag gefunden. Dieser - nennen wir ihn mal „ideellen Grund“ unseres Pflegenestes - kann auch so umschrieben werden, wie es unser heutiges Predigtwort getan hat. Ich sehe daher einen direkten Zusammenhang zwischen diesem Bibeltext und unserem heutigen Jubiläum. Und diesen Zusammenhang möchte ich des weiteren zu erläutern versuchen.

2) Nicht zu überhören ist, dass unser Bibelwort von der „Liebe“ spricht. Insgesamt 15 mal kommt der Begriff „Liebe“ in diesem doch relativ kurzen Text vor. Was sich zunächst wie eine philosophische Abhandlung anhört, erweist sich - wenn man diese Worte in einen konkreten Lebensbezug zu bringen versucht - als ein Wegweiser für eine ganz praktische Lebenshaltung; eine Lebenshaltung wie sie Gott gewollt hat. 
Die Grundidee unseres Bibelwortes ist eigentlich eine denkbar einfache: Gott ist die Liebe und die Menschen ihrerseits sind gerufen, die Liebe (die sie selbst empfangen haben) weiter zu geben. Sichtbares Zeichen dafür, dass man Gott kennt ist, dass man seinen Mitmenschen liebt. Unsere deutsche Sprache kennt ein EINZIGES Wort für diesen so gewaltigen, umfassenden und facettenreichen Begriff  „Liebe“. Die Ursprache des NT (das Altgriechische) kennt drei Umschreibungen dafür: 
1.) έρος 
2.) φίλια und 
3.) αγάπη. 
Uns geht es um die letztgenannte; man kann sie auch Nächstenliebe nennen. Gemeint ist jene Liebe, die sich selbst vergisst und ausschließlich für andere da ist. αγάπη ist die Art von Liebe, wie wir sie aus vielen Beispielen kennen gelernt haben: in ganz bekannten Geschichten wie z. B. jene vom barmherzigen Samariter (es war unsere heutige Evangelienlesung), oder aber (um ein konkretes Beispiel unserer Zeit zu nennen): Mutter Theresa. αγάπη (die Nächstenliebe) ist aber nicht das Ding einiger weniger Prominenter; jeder Mensch, welcher in dem ANDERN den Nächsten sieht und sich dementsprechend auch verhält, leistet das, was unser Bibelwort αγάπη nennt. Die Nächstenliebe kommt absichtslos daher, hilft aber mit Absicht. Sie ist grundlos in ihrem Handeln, gibt aber Grund unter die Füße. Sie sieht das Zerbrochene und findet das Heilende. Sie kann in erkaltete Beziehungen neues Leben bringen. Sie durchdringt alle anderen Arten der Liebe; sie ist gewissermaßen die Vollkommenste. Unser Bibelwort verwendet große Worte dafür: wenn diese Art von Liebe, die sich αγάπη nennt unter uns existiert, dann sind wir von Gott geboren und kennen Gott.

3) Oft aber gibt es die gegenteilige Erfahrung; die nämlich, dass nichts von dieser Liebe zu spüren ist. Wer von uns kann behaupten, diese Erfahrung nicht auch gemacht zu haben? In unserer alttestamentlichen Lesung  (in der Geschichte von „Kain und Abel”) finden wir genau dieses Phänomen beschrieben, welches das Gegenstück zur Nächstenliebe, zur praktizierten αγάπη darstellt. Ohne wirklichen Grund – es ist nur der Neid – wird gemordet. Das ist nicht zu verstehen oder rational zu erklären. Nur wissen muss man: es gibt diese Schattenseite menschlichen Handelns und das wird uns immer wieder schmerzhaft ins Bewusstsein gerufen. Sicherlich kann und darf die Frage gestellt werden, warum wir in unserem näheren und weiteren Umfeld oft wenig von dieser Nächstenliebe vorfinden? Wie oft werden wir mit der Tatsache konfrontiert, dass von dem, was theoretisch so schön klingt, praktisch so wenig umgesetzt wird? Angefangen von kleinen Nachbarsstreitigkeiten und unfreundlichen Worten die man sich gedankenlos an den Kopf wirft, bis hin zu militärischen Konflikten mit verheerenden Folgen: im Irak, im Sudan oder im Kaukasus (usw.). Es gibt viele Menschen, die gerade an diesem Punkt Gott nicht (oder: nicht mehr!) verstehen.
Es gibt Menschen die ihre Mühe damit haben, die vielen negativen Erfahrungen, welche das Leben bringt, mit dem positiven und optimistischen Grundton des christlichen Glaubens in Einklang zu bringen. Ein einziger kurzer Satz dazu finden wir in unserem Bibelwort: 
„(12) Niemand hat Gott jemals gesehen.“ 
Wir finden nicht letztgültige Erklärungen für Gottes Handeln; für sein Eingreifen (oder: nicht eingreifen). Mit Gott lässt sich nicht rechnen (um ein Beispiel aus der Mathematik anzuführen) da sind viel zu viele Unbekannte.
Das – aus menschlicher Sicht – unverständlichste an Gott ist dann aber wohl, dass er seinen Sohn opfert, bzw. zulässt, dass DIESER dahingeschlachtet wird. Wenn wir jedoch fragen warum dies Opfer nötig war, dann kommen wir dort an, von wo wir ausgingen: bei der „Liebe”. Der Apostel Johannes schreibt: 
„(9) Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen.”
„(10) Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden.” 
Wir können keine Antwort darauf geben, ob Gott auch einen andern Weg hätte gehen können. Aber wir wissen, ja wir dürfen – anhand dessen, was wir aus unserem Bibelwort heraus lesen – dessen gewiss sein, dass Gott uns liebt; so wie wir sind: vor allem auch unsere Schattenseiten, auch das was wir keineswegs als liebenswürdig empfinden.

4) Den Zustand unserer verfallenen Welt zu beklagen bringt uns nicht weiter. Wir sind dazu gerufen - weil Gott uns liebt - unseren Nächsten zu lieben. Die Herausforderung, welche in dieser Aufforderung steckt, liegt auf der Hand: es ist keineswegs leicht, menschliche Unzulänglichkeiten in Liebe zu ertragen. Es ist nicht einfach mit Kranken, Behinderten, Hilfsbedürftigen umzugehen. Wer im diakonischen Bereich aktiv ist, der/die weiß es am allerbesten. Unser Bibelwort stellt aber heraus, dass gerade in dieser Zuwendung zum Nächsten hin, nicht mehr und nicht weniger als die Nähe Gottes erfahren wird.
„(7) denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott.”
Damit sind wir dort angekommen, von wo wir ausgegangen sind. Den Glauben an Gott gilt es konkret werden zu lassen. Die erfahrene Liebe Gottes, gilt es weiter zu geben. Das kann sicherlich auf vielerlei Art und Weise geschehen. Die Zeit nach der Wende 1989 brachte große Veränderungen mit sich, Veränderungen die uns in die Lage versetzten, neue Formen der angewandten Nächstenliebe finden zu müssen. Wir sind dankbar, dass vor gut 10 Jahren Menschen – welche die Aufforderung zur Nächstenliebe ganz ernst und wörtlich genommen haben – sich in mannigfacher Weise eingebracht haben; dass sie ihre Zeit, ihr Wissen und auch materielle Zuwendungen erbracht und eingebracht haben, damit ein sichtbares Zeichen der Nächstenliebe gesetzt werden konnte. Zwar hat diakonisches Engagement unsere evangelisch – sächsische Gemeinschaft immer schon charakterisiert und wirkte, bzw. wirkt vorbildhaft für das Umfeld. Was aber hier geschah, geht darüber hinaus: Menschen ganz verschiedener Prägung, aus verschiedenen Ländern haben in Zusammenarbeit ein Werk christlicher Nächstenliebe geschaffen. Die Frage „Wer nun unser Nächster ist?; Wem die Nächstenliebe nun gelten soll?”, hat eine Antwort gefunden, die unserer Zeit der Globalisierung und des Zusammenwachsens von Ländern (und gar Kontinenten) entspricht. 

5) Wir sind dankbar für diese 10 Jahre praktizierter Nächstenliebe. Die Hoffnung ist, dass diese Nächstenliebe auch weiterhin existieren wird. Denn: „Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen.”
Amen.

Dr. Hans Bruno Fröhlich, Stadtpfarrer





Es gilt das gesprochene Wort!

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